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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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ganz normal, Messer dabeizuhaben. Wir taten immer so, als bräuchten wir sie für den Werkunterricht oder als hätten wir sie gerade für unsere Mum gekauft, aber eigentlich hatten wir uns Messer zugelegt, weil wir immer damit rechneten, dass wir eines Tages abgezogen oder verprügelt würden oder so, und für den Fall wollten wir vorbereitet sein. Man kann in London nicht zur Schule gehen, ohne jemanden zu kennen, dem so was |102| schon passiert ist. Messer sind billig und leicht zu besorgen, und es war so normal, eins zu haben, dass man sich fragen könnte, wieso es nicht gleich zur Schuluniform gehörte. Das hat jedenfalls Arron gesagt.
    »Jeder hatte eins. Es war bloß ein Küchenmesser, kein richtiges Schnappmesser oder so. Ich habs mitgenommen, nachdem Arron mal abgezogen wurde, da brauchte er ein Messer, um sich zu schützen. Er hat gesagt, dass ich auch eins brauche.«
    »Herrgott noch mal   – du tust doch sonst auch nicht alles, was deine Freunde sagen. Jetzt siehst du ja, was mit Arron passiert ist.«
    So wie sie mich ansieht, kriege ich richtig Angst. Angst vor dem, was sie tun könnte. Sie würde mich doch nicht bei den Bullen verpfeifen, oder? Doch nicht meine eigene Mutter!
    »Ich habe mit dem Überfall im Park nichts zu tun, Mum. Und ich hab wirklich gesehen, was ich der Polizei gesagt habe. Wenn du denen erzählst, dass ich auch ein Messer hatte, glauben sie mir vielleicht gar nichts mehr. Dann stecke ich bis zum Hals in der Scheiße. Und bitte kapier endlich, dass wir nicht nach Hause gehen und wieder normal leben können. Die machen uns kalt.«
    »Nein   … ja   … ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht sollten wir eine Zeitlang ins Ausland gehen, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
    Das klingt schon besser. Vielleicht können wir nach Portugal auswandern oder nach Spanien   … irgendwohin, wo kein Englisch gesprochen wird und wo man |103| internationale Fußballstars heranzüchtet. In Gedanken fertige ich sofort eine Liste mit Ländern an, die ich den Bullen vorschlagen könnte. Dann reiße ich mich zusammen.
    »Wir haben nicht mal Reisepässe, oder?«
    »Nein. Aber wenn wir der Polizei sagen, dass du nicht aussagst und dass wir ins Ausland müssen, regeln sie das bestimmt für uns.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    Sie hört auf zu packen und sieht mich an. »Warum widersprichst du mir eigentlich die ganze Zeit, Ty? Es geht genauso um dich wie um mich. Oder gefällt es dir hier etwa, so ganz ohne Freunde? Und dann musst du noch mitansehen, wie ich mich in ein depressives Häufchen Elend verwandle.«
    »Mir gefällt’s hier.« Was du mitgekriegt hättest, wenn du mir auch nur
einmal
zugehört hättest. »Die Schule ist so weit in Ordnung. Ich treibe dort viel Sport.«
    »Sport?«
    Vielleicht kann ich sie ablenken, indem ich ihr von meinem erstaunlichen Talent erzähle.
    »Mum, war mein Dad gut in Leichtathletik?« So stelle ich es immer an, wenn ich etwas über meinen Dad erfahren will. Mit harmlosen Fragen, die ich dazwischenschmuggle, wenn sie gerade an etwas anderes denkt. Sie hat sich nie die Mühe gemacht, sich hinzusetzen und mir ausführlich von ihm zu erzählen.
    Sie lacht, aber es ist kein fröhliches Lachen. Vielleicht ist heute nicht der beste Tag für diesen Trick.
    |104| »Eigentlich nicht. Er war viel zu faul. Er spielte gern Fußball, aber er kam nicht damit klar, dass jemand besser sein könnte als er. Ein arrogantes Arschloch war er, dein Dad, wie ich, glaube ich, bereits erwähnt habe. Nein, ich war diejenige, die gut in Sport war.«
    »Echt?
Du?
« Wieso habe ich das nicht gewusst? »Was meinst du mit
gut?
«
    »Ich bin für unser Stadtviertel gelaufen. Doch, ehrlich. Hab den zweiten Platz von allen Londoner Mädchen unter sechzehn gemacht. Beim 150 0-Meter -Lauf.«
    »Cool   … Warum hast du damit aufgehört?«
    »Streng doch mal kurz dein Hirn an. Was war los, als ich sechzehn wurde? Lauf du mal, wenn unter deinem Sporttrikot ein Baby wächst«, sagt sie grimmig. »Wieso fragst du überhaupt?«
    »Weil die in der Schule finden, dass ich ein guter Läufer bin. Ich kriege Sondertraining.«
    Ich hätte es ihr schon früher sagen können, aber ich wollte, dass sie richtig drauf reagiert. Aber sie rümpft bloß die Nase.
    »Mir wär’s lieber, sie würden dir ein Sondertraining in Mathe verpassen.«
    Es interessiert sie nicht. Sie wechselt das Thema: »Willst du etwa sagen, dass du lieber hier bist als zu Hause in London, Ty?«
    Sie kapiert es einfach nicht. Sie

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