Mehr als nur ein Zeuge
sagt Doug, und Maureen zwinkert mir zu.
Wir betreten die Tankstelle. Ich bin ein bisschen nervös, aber das Schlafmittel scheint mich runtergefahren |247| zu haben. Mein Körper fühlt sich schwer an, andauernd wollen mir die Augen zufallen. Ich bin so steif und verkrampft, dass Maureen mich stützen muss. Ich humpele wie ein alter Mann und fühle mich gar nicht wie jemand, der zweimal hintereinander einen Polizisten abgewehrt hat. Auch wenn es bloß Doug war.
Beide wollen Würstchen mit Pommes, und als Maureen merkt, dass ich mich nicht entscheiden kann, bestellt sie für mich Fish ’n’ Chips und Tee. Wir setzen uns hin und ich zermansche den Fisch mit der Gabel. »Sind Sie auch verheiratet, Maureen?«, frage ich.
»Um Himmels willen, nein – ich bin mit meiner Arbeit verheiratet. Gut für dich, was?«
Ich nicke und sie sagt: »Hör bitte auf, so in deinem Essen rumzumanschen. Iss was. Es bringt doch nichts, wenn du bloß damit spielst.«
Maureen erinnert mich echt an Gran. Sie ist ungefähr gleich alt und hat auch so ein freundliches Gesicht. »Wissen Sie, dass meine Oma aufgewacht ist, Maureen? Und zwar als ich bei ihr war.«
»Ja, weiß ich, und das freut mich sehr für dich. Erzähl doch mal.«
Also erzähle ich ihr, was passiert ist, und sie wuschelt mir durch die Haare wie einem kleinen Kind und meint: »Ich finde, das hast du sehr gut gemacht.« Nach einer kleinen Pause fügt sie hinzu: »Ich wusste gar nicht, dass eure Familie in die Kirche geht. Soll ich dir eine für kommenden Sonntag suchen?«
»Nein, Mum und ich nicht, nur Gran.« Schön wär’s, |248| wenn ich mich wie Gran von Gebeten und der Kirche und so weiter trösten lassen könnte. Aber ich hab da nie einen Draht zu gehabt, und Mum wäre durchgedreht, wenn ich plötzlich fromm geworden wäre.
»Schade«, sagt Maureen, und ich wundere mich ein bisschen. »Das würde den Geschworenen bestimmt gefallen, wenn du in die Kirche gehst«, setzt sie hinzu, was noch merkwürdiger ist.
»Wie hat denn deine Mutter deiner Meinung nach ausgesehen?«
»Wie ausgekotzt.«
»Ja, das macht uns auch Sorgen. Wir können momentan nicht im Krankenhaus anrufen, wir wollen erst dann Kontakt aufnehmen, wenn kein Risiko mehr besteht, dass jemand eine Verbindung zwischen uns und deinen Verwandten herstellt. Aber ich bin eigentlich sicher, dass sie schnell woanders hingebracht werden. Deine Mutter ist bestimmt bald wieder bei dir.«
»Dann … gehen Sie dann weg, Maureen?«
Sie zögert und ich hoffe, dass sie »Nein« sagt, dass sie bei uns bleibt und sich um uns beide kümmert. Sie sieht es mir an, glaube ich, denn sie sagt rasch: »Das sehen wir dann schon«, und dann: »Jetzt musst du aber endlich was essen, und wenn ich die Gabel nehmen und dich füttern muss!« Also probiere ich eine Pommes und sie schmeckt erstaunlich lecker.
Sobald wir im Auto sind, schlafe ich wieder ein und wache erst auf, als wir zu Hause sind. Bei Joe zu Hause. Zum ersten Mal kommt es mir wirklich wie mein Zuhause |249| vor. Mein anonymes beigefarbenes Zimmer ist ruhig und friedlich. Hier bin ich sicher. Ich muss das glauben, also glaube ich es. Ich lasse mich aufs Bett fallen und es ist so was von gemütlich.
Von unten höre ich den Fernseher. Doug guckt Nachrichten. Fetzen von Schlagzeilen wehen die Treppe hoch … »Schießerei … Krankenhaus …«
Schießerei? Krankenhaus? Ich stehe mühsam auf und wanke nach unten. Man sieht das Krankenhaus aus der Vogelperspektive, dann steht ein Reporter vor dem Haupteingang. »Der Polizist, auf den geschossen wurde, war ein bewaffneter Beamter. Er war zum Schutz einer Frau abgestellt, die das Opfer eines brutalen Überfalls gewesen ist. Die Sicherheitslage im Krankenhaus soll jetzt überprüft werden, denn Familien von Patienten beschweren sich darüber, dass ihre Angehörigen einer solchen Gefahr ausgesetzt waren.
Die betreffende Patientin ist inzwischen an einen nicht genannten Ort gebracht worden. Der verletzte Polizist befindet sich auf dem Weg der Besserung, sein Zustand ist stabil.«
»Die haben Gran verlegt?«
»Hört sich so an.«
»Ist doch gut«, meint Maureen, »dann brauchst du dir keine Sorgen mehr um deine Großmutter zu machen.« Sie steht auf. »Ich lasse dir ein Bad einlaufen, vielleicht kannst du ja danach noch ein bisschen schlafen.«
Ich schlafe zwar, aber es ist nicht mehr der ruhige, traumlose Schlaf wie im Auto. Ich bin wieder im Krankenhaus, |250| renne wieder durch das Labyrinth der
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