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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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nach Hause gehen.«
    Ich halte das für keine gute Idee. Was, wenn Ashley ihr irgendwo auflauert? Am liebsten würde ich ihr sofort nachlaufen, aber ich bin mit Ellie auf dem Sportplatz verabredet. Auf dem Weg dorthin denke ich die ganze Zeit an Claire. Sie kommt nach Hause, keiner ist da, und   … oh nein!
    Ich renne zu Ellie und brülle ihr noch im Laufen zu: »Den Schlüssel   … ich brauche euren Schlüssel!«
    »Was ist denn mit dir los?«, fragt sie, aber sie fischt den Schlüssel aus der Tasche und gibt ihn mir.
    »Ich muss zu euch nach Hause. Kannst du auch schnell |307| hinkommen? Es ist wegen Claire   … sonst passiert ihr was ganz Schlimmes!«
    »Wie jetzt?«, fragt Ellie, aber ich bin schon weg. Ich renne die Hauptstraße runter und um die Ecke. Ich remple Leute an und fluche und überquere Straßen, ohne auf den Verkehr zu achten, sodass die Autos mit quietschenden Reifen bremsen oder mir ausweichen müssen.
    Dann erreiche ich endlich Claires Straße und ich bete stumm   – zu Jesus, zu Maria, ganz egal   –, dass ich noch rechtzeitig komme.
    Ich renne Ellies Rollstuhlrampe hinauf, fummele mit dem Schlüssel hektisch im Schlüsselloch herum, dann lasse ich die Tür offen, damit sie reinkann, und renne ins Haus.
    Ich stürme die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal, und stehe vor Claires Tür. Die ist natürlich wieder mit dem Stuhl versperrt, darum trete und remple ich dagegen und rufe laut: »Ich bin’s, Claire! Lass mich rein!«
    Aber sie hat die Tür richtig fest verrammelt, sodass ich mit aller Gewalt zutreten muss, bis der Stuhl endlich umfällt.
    Ich stürme ins Zimmer und falle über den Stuhl   – verdammt!   –, es ist so verflucht dunkel. Aber ich weiß, wo ich Claire suchen muss. Ich rapple mich wieder hoch und taste mich zu ihrem Bett vor, wobei sich meine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen.
    »Claire? Bist du da? Alles in Ordnung?«
    Von weit, weit weg höre ich Ellie rufen: »Joe? Was ist denn los?«
    |308| Aber da habe ich sie schon gefunden. Claire sitzt mit dem Rücken zur Wand auf dem Bett, aber sie ist nach vorn gekippt, sodass ihre Nase ihre Knie berührt. Sie sagt nichts   – ist sie überhaupt bei Bewusstsein?   –, und als ich ihren Arm anfasse, werden meine Finger nass und klebrig.
    Ich springe wieder auf und reiße den Vorhang so brutal auf, dass die ganze Chose abreißt und zu Boden geht. Erst jetzt sehe ich, dass meine Befürchtung richtig war   – sie hat sich geritzt. Aber diesmal ist es kein sauberer kleiner Schnitt wie sonst, sondern ein großer, klaffender Riss, aus dem Blut über ihren ganzen Arm und die Bluse quillt.
    »Ruf den Notarzt, Ellie!«, brülle ich.
    Herrgott noch mal! Ich muss die Blutung stoppen! Ich hebe das Messer vom Boden auf und ziehe das Laken von der Matratze. Ich schneide einen Streifen davon ab und wickle ihn um Claires Arm, dicht unterhalb und dann über der Wunde, und halte den Arm so hoch, wie es geht. Ich brauche einen Stock oder so was, aber das Einzige, was ich finde, ist ein Bleistift, der eigentlich nicht lang genug ist, aber ich wickle den Stoffstreifen drum und dann drehe ich das Ganze so lange, bis sich der Stoff straff zieht. Ich habe total Panik, dass sie stirbt. »Wach auf, Claire, wach auf!«, brülle ich. Sie blinzelt und starrt mich an, als wäre ich ein Fremder. Dann sitzen wir einfach da und warten auf Hilfe, wobei ich mich mit aller Macht darauf konzentriere, den Stoff so straff wie möglich zu drehen.
    |309| Hier kommt der Krankenwagen schneller als in London. Die Tür fliegt wieder auf und zwei Sanitäter, ein Mann und eine Frau, stürzen sich auf Claire und schieben mich weg. Einer nimmt mir den Stift aus der Hand. Ich kann nicht mehr zusehen und stolpere die Treppe runter zu Ellie, die entsetzt die Augen aufreißt, als sie mein blutgetränktes Hemd sieht.
    »Um Himmels willen, was ist passiert? Hat jemand Claire überfallen? Woher hast du das gewusst?«
    Ich schüttele den Kopf. »Niemand hat sie überfallen. Sie hat sich das selber angetan. Wenn sie durcheinander ist, ritzt sie sich, und diesmal war sie total durcheinander.«
    »
Was
macht sie? Oh Gott! Wie schlimm ist es?«
    »Keine Ahnung. Jedenfalls hat sie die Augen aufgemacht.«
    Der Sanitäter kommt die Treppe runter und fragt: »Wer hat den Druckverband angelegt? Du?«
    »Ja.«
    »Gut gemacht. Wie lange ist das her?«
    »Ungefähr zehn Minuten bevor Sie gekommen sind.«
    »Sehr gut. Wir bringen die Kleine jetzt runter und dann ins

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