Mehr als nur Traeume
Vielleicht würde Nicholas heute abend noch jemand anderen bemerken neben Arabella, diesem Prachtexemplar.
Als Dougless in den Salon kam, wo die Familie Harewood Cocktails servierte, wußte sie, daß sich die zweieinhalb Stunden Arbeit, die sie zur Vorbereitung gebraucht hatte, gelohnt hatten. Lee erstarrte, und die Hand, die das Cocktailglas zum Mund führen wollte, blieb auf dem halben Weg dorthin in der Luft hängen. Lady Arabella wandte zum erstenmal, seit sie im Haus waren, den Blick von Nicholas ab, und Lord Harewood hörte sogar auf, von seinen Hunden, Gewehren und Rosen zu reden. Was Nicholas betraf, dachte Dougless, war seine Reaktion allein schon die Mühe wert gewesen. Seine Augen leuchteten auf, als er sie zur Tür hereinkommen sah, wurden heiß, als er auf sie zuging, und schließlich schwarz, als er stirnrunzelnd vor ihr stehenblieb.
Das weiße Kleid ihrer Mutter war in einem Stück aus einem anschmiegsamen Material gefertigt, das auf der einen Seite einen langen Ärmel hatte, aber ihre andere Schulter und ihren anderen Arm unbedeckt ließ. Es war mit winzigen Perlen bestickt, und wenn sie sich bewegte, zeigte es jede reizvolle Kurve ihres Körpers. Sie hatte Glorias Diamantarmband um das Gelenk ihres freien Armes befestigt.
»Guten Abend«, sagte sie.
»Wau«, sagte Lee, sie von oben bis unten betrachtend, »wau!«
Dougless lächelte ihm huldvoll zu. »Ist das ein Drink? Könnten Sie mir vielleicht einen Gin-Tonic besorgen?«
Lee trottete so gehorsam davon wie ein Schuljunge.
Es war erstaunlich, was ein Kleid für eine Frau leisten konnte. Gestern abend hätte sie sich noch in Arabellas Gegenwart am liebsten unter dem Tisch verkrochen, aber heute abend wirkte Arabellas tiefausgeschnittenes rotes Cocktailkleid billig und geschmacklos.
»Was macht Ihr da?« fragte Nicholas, sich vor ihr aufbauend.
»Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet«, erwiderte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag.
»Ihr seid entblößt.« Es klang schockiert.
»Weit weniger als Eure Arabella«, gab sie schroff zurück und lächelte dann. »Gefällt Ihnen das Kleid? Ich ließ es mir von meiner Schwester hierherschicken.«
Nicholas’ Rücken war wie gewöhnlich, wenn er in der Gegenwart der Harewoods mit ihr redete, so steif wie ein Ladestock. »Gedenkt Ihr nach dem Abendbrot diesen Arzt zu besuchen?«
»Natürlich«, erwiderte sie mit süßer Stimme. »Schließlich haben Sie mir den Auftrag gegeben, herauszufinden, was er weiß.«
»Nicholas«, rief Arabella. »Dinner!«
»Ihr dürft dieses Kleid nicht tragen.«
»Ich werde tragen, was mir gefällt. Sie sollten jetzt besser gehen. Arabella rüttelt bereits an Ihren Tischbeinen.«
»Sie ...«
»Hier bin ich wieder«, sagte Lee und reichte Dougless ihren Drink. »Guten Abend, Lord Stafford.«
Das Dinner wurde zu einer wunderbaren Erfahrung für Dougless. Nicholas konnte die Augen nicht von ihr abwenden, was die liebliche Lady Arabella schier zur Weißglut brachte. Lee war ständig so sehr um sie bemüht, daß der Ärmel seiner Jacke mehrmals in Dougless Suppenschüssel eintauchte.
Nach dem Dinner begaben sie sich alle in den großen Salon, und Nicholas spielte Klavier und sang dazu. Es war wie eine Szene aus einem Jane-Austen-Roman. Er hatte eine volle tiefe Stimme, die Dougless überaus gut gefiel. Er hatte sie eingeladen, mit ihm zu singen, aber sie wußte, daß sie keine Stimme hatte. Sie saß auf einem harten kleinen Stuhl und sah eifersüchtig zu, wie Arabella und Nicholas ein Duett sangen, die Köpfe zusammensteckend, die Stimmen miteinander verschlungen.
Um zehn Uhr abends entschuldigte sich Dougless und ging auf ihr Zimmer. Sie hatte kein Verlangen, den Abend mit Lee in diesem Zimmer zu verbringen. Die Aufklärung des Geheimnisses, wer Nicholas verraten hatte, mußte eben noch einen Tag warten.
Um Mitternacht wußte Dougless dann, daß sie nicht schlafen konnte. Sie hatte ständig Nicholas vor Augen, wie er mit Arabella im Duett sang und wie er mit aufgeknöpftem Hemd von der Jagd heimgekommen war. Sie stand auf, legte einen Hausmantel an, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, daß sie bauschiger wurden, und begab sich durch die Korridore auf den Weg zu Nicholas’ Zimmer. Unter seiner Tür war es dunkel; aber hinter ihrer Tür zeigte sich Licht, klirrten Gläser und klang das gurrende Lachen von Arabella auf.
Dougless handelte, ohne erst nachzudenken. Sie klopfte einmal an, legte gleichzeitig die andere Hand auf den Türknopf, drehte ihn und
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