Mehr Bier
mich trotzdem interessieren. Sie lächelte. »Aber von Anfang an, sonst macht es mir keinen Spaß.«
Sie füllte die Gläser neu und lehnte sich zurück. Und, tatsächlich, sie erzählte mir ihr Leben.
»Neunzehnhundertfünfundvierzig war ich siebzehn Jahre alt. Von zu Hause bin ich mit fünfzehn weg, um mit einem deutschen Offizier Liebe zu machen. Wäre ich älter gewesen, hatte ich geahnt, daß es mit den Deutschen nicht gutgehen kann. Aber ich war jung und glaubte, auf einen Sieger zu setzen. Meine Eltern haßte ich, weil sie die Deutschen nicht mochten und stolz darauf waren, Polen zu sein. Ich wollte raus aus Warschau. Ich wollte die Welt sehen. Amerika, China, Rußland. Ich wollte leben. Warschau war für mich Provinz, obwohl ich keine größere Stadt kannte. Ich wollte berühmt werden und träumte, eine große Tänzerin in Berlin zu sein. Meine Eltern bestanden auf einer Lehre, damit ich später die Schneiderei vom Vater übernehmen könnte. Na, ja, die Russen kamen, mein Offizier wurde erschossen, und ich mußte mich irgendwie durchschlagen. Zu den Eltern zurückgehen ließ mein Stolz nicht zu. Es waren schlimme Zeiten, für einen Sack Kartoffeln tat man so ziemlich alles. Die jungen russischen Soldaten sorgten, daß ich zu essen hatte, und ich kümmerte mich um ihre Nächte. Aber auch die Russen waren arm, und ihr Land war kaputt. Mit einer Freundin beschloß ich, in den Westen zu gehen, zu den Amerikanern. Wir hatten gehört, da könnte man reich werden. Ein Pole versetzte den Schmuck seiner Frau, kaufte eine Kutsche und fuhr uns die ersten hundert Kilometer Richtung Berlin. Leider wollte er alle paar Kilometer dafür bezahlt werden, weshalb wir uns schließlich davonmachten. Eine russische Militärpatrouille nahm uns dann auf und brachte uns bis nach Berlin. Wir ließen uns im amerikanischen Sektor absetzen und mußten feststellen, auch hier arbeitete man für Kartoffeln, und die Amerikaner waren in puncto Bezahlung noch schlimmer als die Russen. Vielleicht, weil ihre Frauen noch lebten.
Dafür sahen wir das erste Mal einen echten Neger und hörten Jazzmusik. Für uns war’s die Welt, die wir suchten. Eines Tages lernte ich dann einen schneidigen Sergeant kennen, Sohn reicher Eltern, und witterte die Chance meines Lebens. Ich hängte mein lockeres Leben an den Nagel und widmete mich nur noch ihm. Tagsüber trank ich Whisky und flickte seine Uniform, und nachts träumten wir von einer Ranch in Kalifornien. Unglücklicherweise verliebte ich mich in ihn und wurde sentimental. Ich nahm ihm ab, daß die Briefe, die er bekam, von seiner Schwester waren, und auch die Vorbereitung seiner Abreise entging mir vollkommen. Er verließ mich. Ich folgte ihm nach Köln und Frankfurt, doch irgendwann saß er im Flugzeug nach Amerika, und ich stand auf der Straße. In Frankfurt kannte ich niemanden, hatte aber bald Kontakt zu meinem alten Broterwerb und verdiente eine Menge Geld. Neunzehnhundertfünfundfünfzig zog ich nach Kronberg und versorgte nur noch Stammkunden. Eine gute Zeit. Ich konnte mir alles leisten, und es hätte so weitergehen können.«
Sie steckte eine Zigarette in den Filter und inhalierte den ersten Zug tief. Dann sah sie auf.
»Ich habe Sie gewarnt. Es ist lange her, daß jemand mit mir Wodka getrunken hat. Wie heißen Sie eigentlich?
»Kayankaya. Kemal Kayankaya.«
»Dachte ich mir. Sie sind kein Deutscher.« Sie zeigte auf sich: »Nina Scheigel, geborene Kaszmarek«, und lachte. Dann schenkte sie Wodka nach und fuhr fort. »Irgendwann kam wieder so ein Verrückter, der mich aus dem Geschäft bringen wollte. Er war hübscher als die anderen und schien mir anständiger. Er hatte Frau und Kinder, wollte aber unbedingt mich. Ich war neunundzwanzig und hätte noch zehn Jahre weitermachen können. Aber es wäre auch schwieriger geworden, und irgendwann ist man weg vom Fenster. Mit vierzig in Hauseingängen stehen, dazu hatte ich keine Lust, ich nahm sein Angebot an. Er kaufte eine kleine Wohnung hier in Doddelbach und gab mir monatlich mehr als genug. Seine Frau wußte, was los war. Er kam fast jeden Tag. Wir machten kleine Reisen, und durch seinen Einfluß begann ich mich für Bücher zu interessieren. Eine große Tänzerin war ich nicht geworden, aber ich führte ein unbesorgtes Leben. Ich liebte meinen Gönner nicht, und das war gut so. Im Ort galt ich als Schlampe. Jeder wußte Bescheid. Ich trank mit seiner Frau Kaffee, und irgendwann lernte ich den Sohn kennen, einen jungen Mann von neunzehn.
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