Mehr Bier
Aber irgendwann sah er ein, die Fabrik müßte dabei den kürzeren ziehen. Und dann machte er den größten Fehler seines Lebens, er heiratete seine neunzehnjährige Sekretärin und glaubte, sich so seine Jugend erhalten zu können. Sie war auch ein hübsches Ding. Und nicht nur das, sie wußte genau, was sie wollte.«
Sie verschränkte die Arme und sah mich an.
»Ich sage das nicht aus Eifersucht. Ich bewundere Frauen, die sich keine Illusionen machen. Aber dieses Mädchen war schon was Besonderes an Berechnung. Friedrich hatte sie geliebt, und wie ich meinem amerikanischen Sergeanten, glaubte er ihr alles. Sie zwang den Hansdampf in allen Gassen in die Knie. Irgendwie schaffte er es dann, sich vorzumachen, er sei bei der ganzen Geschichte der Gewinner. Ich meine, er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, mit einer schönen Frau und so weiter…«
Sie lachte bitter. Für mich war es an der Zeit, ein paar Fragen zu stellen. Außerdem war ich betrunken. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, aber mir fiel nichts Besseres ein als: »Sie haben ihn bis zuletzt geliebt?« und das Drama ging weiter.
»Sie können mich ruhig für verrückt halten: ja. Auch wenn er ein schlimmer Mensch geworden war.«
»Das soll heißen?«
»Alles mögliche. Fragen Sie seine Mutter, was sie von ihrem Sohn gehalten hat. Zur Beerdigung ist sie nicht gekommen.«
»Ach, ich wußte gar nicht…«
»Doch, Herta Böllig, die Witwe von Otto Böllig, lebt noch. Wenn Sie zur Fabrik hoch fahren, kommen Sie an einer Trinkhalle vorbei. Eine alte Frau verkauft da Zigaretten und Bier.«
Die Glöcknerin von Notre-Dame. Langsam machte ich den Mund wieder zu. Die Polin begriff.
»Sie kennen sie also. Tja, kurz nach der Heirat befand Brigitte Böllig, daß die alte Dame den Haushalt störe. Zunächst machte Friedrich nicht mit, aber irgendwann landete sie im Anbau, der vorher Abstellkammer war. Die nächste und letzte Station wäre das Altersheim gewesen. In aller Stille kündigte Herta Böllig deshalb dem Mann von der Trinkhalle, richtete sich den Hinterraum her und zog um. Können Sie sich die Schande in Doddelbach vorstellen? Friedrich tat alles, um sie da wieder rauszuholen, aber nichts war zu machen. Schließlich ließ er sich von seiner Frau überzeugen, daß es für alle Beteiligten so besser sei. Man gewöhnte sich an den Zustand, im Betrieb war er tabu. Ich bin die einzige Person, mit der sie noch redet. Die ehemalige Geliebte ihres Mannes.«
Diese Geschichte und dieser Wodka! Was ich wohl mit sechzig zu erzählen haben würde. Vielleicht war ich mehr ein Drama ohne Inhalt, sagte ich mir, und außerdem, wer würde schon bei mir vorbeischauen.
»Weil wir nun einmal beim Aufwasch sind, sagen Sie, was ist aus dem Sohn von Friedrich Böllig geworden? Man sagt, er sei in einem Heim?«
Sie nahm wieder einen tiefen Schluck, lehnte sich an die Fensterbank und hielt das Glas mit beiden Händen fest. Menschen aus dem Osten haben wodkamäßig andere Normen.
»Mehr weiß ich auch nicht. Ich habe das Kind nie gesehen. Es lebt in einer geschlossenen Anstalt. Hirnhautentzündung, direkt nach der Geburt.«
»Der Name der Anstalt?«
»Tut mir leid, ich weiß nicht einmal den Namen des Kindes. Ich weiß nur, weder Friedrich noch seine Frau interessierten sich besonders für den Jungen, eigentlich haben sie ihn totgeschwiegen. Sie sind seit Jahren der erste, der mich darauf bringt.«
Sie ging betont gerade zur Tür und dann hinaus. Man hörte die Wasserspülung der Toilette. Dann kam sie mit einer Flasche Mineralwasser zurück und stellte den Wodka weg. Ich trank drei Gläser Wasser hintereinander und war wieder einigermaßen in Form.
»Kennen Sie einen gewissen Henry? Ein Bekannter von Brigitte Böllig.«
»Sie hat viele Bekannte, ich merke mir keine Namen.« Ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Kurz darauf kam Fred Scheigel mit nassen Haaren und verdutztem Gesicht in den Salon getappt.
Abweisend betrachtete er mich, seine Frau und die Gläser. Er nickte und murmelte: »Guten Abend.« Und sie: »Fred, du kennst Herrn Kayankaya. Er will wissen, warum du wegen der Sache mit deinem Kopf nicht beim Arzt warst.«
Ein tolles Gedächtnis. Ich hätte glatt vergessen, weshalb ich hergekommen war.
Fred Scheigel pellte sich langsam aus seinem Mantel und legte ihn sorgfältig über die Stuhllehne.
»Das habe ich ihm doch neulich schon erklärt.«
»Erklärt ist wohl übertrieben. Aber eine andere Frage: Vor dem Überfall, haben Sie da Schüsse
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