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»Wenn dir Pinus zuviel wird«, sagte sie lächelnd, »können wir dich problemlos verlegen.«
Frannie kicherte. Sie fühlte sich angenehm groggy. »Glen Ellen ist so eine verschlafene Kleinstadt. Ich dachte immer, hier ist weiter nichts.«
»Ja, man würde es nie erraten, nicht?«
»Ist es hier in der Nähe?«
»Die Abzweigung ist ein Stück weiter vorne. Du wirst schon sehen.« Helena zog an ihrer Zigarette und zwinkerte Frannie zu. »Schon seit den frühen Vierzigern haben wir keiner Debütantin mehr die Augen verbunden.«
Frannie wurde besinnlich. »Das hat alles etwas, das mich an Edgar erinnert.«
»Verwitwet sind wir alle, Frannie. Die Vergangenheit haben wir hinter uns gelassen.«
»Ich meinte das nicht … sentimental. Edgar hat immer so ein schreckliches Geheimnis gemacht aus seinen zwei Wochen im Bohemian Grove. Der ganze Hokuspokus mit Eulen und Kobolden und Waldgeistern. Er hat das bloß benutzt, Helena. Er hat es benutzt, um mich auf Distanz zu halten.«
Helena rümpfte die Nase. »Mein Schatz, im Vergleich zu Pinus ist der Bohemian Grove ein Pfadfinderlager.«
Nachdem sie den Highway verlassen hatten, schaukelten sie ein paar Meilen über eine unbefestigte Straße und fuhren an dem hoch aufragenden Pinienhain vorbei, von dem der Erholungsort wohl seinen Namen hatte. Als der Mercedes um die letzte Kurve bog, hielt Frannie die Luft an und klammerte sich ans Armaturenbrett.
»Mein Gott! Helena!«
»Ja«, sagte die Gastgeberin strahlend. »Ist er nicht großartig?«
Vor ihnen ragte ein zwanzig Meter hoher, aus Feldsteinen gebauter Turm mit abgerundeter Spitze auf, der den Eingang markierte. Als sie daran vorbeifuhren, spähte Frannie durch das Fenster auf das diskrete Messingschild, das in Augenhöhe angebracht war.
PINUS
Gegründet am 23. August 1912
Zuviel des Guten ist einfach wunderbar
Der Monasche Lehrsatz
Jonhatte keine Probleme, Michael in der Menge vor dem American-Airlines-Terminal auszumachen. Er trug Levi’s, ein frisches weißes T-Shirt und eine Jefferson-Starship-Baseballjacke aus Satin in Schwarz und Silber.
Und Rollschuhe.
Der Doktor in seinem blauen Brioni-Blazer stiefelte an Michael vorbei in Richtung Gepäckausgabe. »Ich kenne dich nicht«, zischte er.
»Ach, stell dich nicht so an, Großer … Du erinnerst dich doch noch an unsern Zusammenbumser auf der Rollschuhbahn in South City. Neunzehnachtundvierzig war das, glaub ich.«
»Ist dir klar, daß du ein Arschloch bist?«
»Hattest du einen guten Flug?«
»Michael, der grauhaarige Mann dort drüben ist der berühmteste Gynäkologe der ganzen Westküste.«
Der Rollschuhfahrer drosselte das Tempo und schaute sich um. »Er hat Schuppen«, stellte er fest.
»Er kennt mich«, erwiderte Jon.
»Ich würde nie zu einem Gynäkologen mit Schuppen gehen.«
»Würdest du denn wenigstens langsamer fahren?«
»Warum? Willst du knutschen?«
»Ich hau dir gleich eine rein. Im Ernst.«
»Oooh, ich finde es toll, wenn du einen auf männlich machst.«
»Manche können das eben noch.«
»Du bist ein altmodischer Sack, daß du’s nur weißt.«
Jon funkelte ihn an, packte ihn hinten am Gürtel und brachte ihn zum Stehen. Dann drehte er ihn vor den Augen des berühmtesten Gynäkologen der ganzen Westküste herum und küßte ihn auf den Mund.
»Zufrieden?«
»Befriedigt!« antwortete Michael strahlend.
Sie holten Jons Wagen aus dem Flughafenparkhaus und fuhren zu seiner Wohnung in Pacific Heights. Unterwegs sprudelten die Details über die Barbary Lane und die Eröffnung, die Mrs. Madrigal ihrer »Familie« gemacht hatte, aus Michael nur so heraus.
Jon schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist ja … ein Hammer.«
»Findest du’s nicht toll?«
»Und Mona hatte keine Ahnung?«
Michael schüttelte den Kopf. »Sie hat gewußt, daß Mrs. Madrigal eine Transe ist -was sonst niemand gewußt hat –,aber sie hatte keine Ahnung, daß Mrs. Madrigal ihr Vater ist.«
»Was ist mit Monas Mutter?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Weiß sie denn Bescheid?«
Michael zuckte mit den Schultern. »Sie hat angerufen, kurz bevor Mona nach Winnemucca gefahren ist. Mona hat erzählt, daß sie reichlich abgedrehtes Zeug geredet hat, über Mrs. Madrigal und so, aber Mona kann nicht so recht sagen, wieviel ihre Mutter weiß.«
Jon pfiff durch die Zähne. »Bizarr!«
»Dabei hab ich noch kein Wort über Mary Ann verloren. Sie hat sich vor unseren Augen in eine zweite Nancy Drew verwandelt und entwickelt einen enormen
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