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wollte nicht, daß Burke ihr Gesicht sah.
»Hallo, Jon … Na, so einigermaßen … Ja … O Gott! O Gott, nein! … Nein, es geht schon wieder. Um welche Zeit ist er …? Danke … Ja, werde ich … Mach ich, Jon. Ist lieb von dir, Jon.«
Sie legte auf.
Burke legte den Arm um sie.
»Gott sei Dank«, sagte sie leise. »Es war nicht Michael, Burke. Es war Beauchamp Day. Jon und Michael haben es gerade im Radio gehört. Beauchamps Auto ist gegen die Seitenwand des Broadway-Tunnels geprallt und in Flammen aufgegangen. Sie konnten nicht an ihn ran, Burke. Er ist bei lebendigem Leib verbrannt.«
Endlich sechzig
Der köstliche Vitabath-Kräuterduft kitzelte in Frannies Nase, als sie sich in der riesigen Marmorbadewanne zurücklehnte und die Wirkung der Vitamin Q genoß.
»Ach, du meine Güte! Dieses Ding ist ja groß genug für zwei.«
Birdsong, der ihr gerade die Füße massierte, hielt einen Moment lang inne. »Möchten Sie, daß ich mit hineinkomme, Mrs. Halcyon?«
»Ach so, nein.« Sie kicherte. »Nein, so war das nicht gemeint, Birdsong.«
»Es wäre kein Problem.«
»Nein, das wäre es wohl nicht … Birdsong?«
»Ja, Ma’am?«
»Wie lange arbeiten Sie schon in Pinus?«
»Ungefähr zwei Jahre.«
»Wie alt waren Sie, als Sie hier angefangen haben?«
»Äh … Zwanzig.«
»Es gefällt Ihnen also hier?«
»Ja, Ma’am.«
»Mit all den alten Damen hier. Macht es Ihnen denn Spaß … sich um sie zu kümmern?«
»Für mich sind sie nicht alt.«
Frannie lächelte nachsichtig. »Ich weiß, daß man Ihnen aufgetragen hat, das zu sagen, aber es ist doch bestimmt … Na ja, ich meine, wir sind nun mal alle über sechzig, nicht? Ein junger Mann wie Sie muß sich da ein bißchen … komisch vorkommen … Wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Nein, Ma’am. Ich mag reife Frauen.«
Sie sah ihn aus halb geschlossenen Augen an und grinste. »Sie sind der geborene Diplomat, junger Mann.«
Birdsong zwinkerte ihr zu und wackelte an ihrem großen Zeh.
»Wie ist Ihr richtiger Name?« wollte sie wissen.
»Den dürfen wir nicht sagen.«
»Ihr dürft nicht, hmh?«
»Nein, Ma’am.«
»Schrubben Sie mir auch den Rücken?«
»Wenn Sie möchten.«
»Ich möchte«, sagte Frannie lächelnd und wälzte sich in ihrem Schaumbad auf den Bauch.
Die Matriarchin schlief tief, bis Helena Parrish um sechs Uhr abends an ihre Tür klopfte. »Die Stunde naht«, sagte sie fröhlich, als sie in das Häuschen lugte. Sie hatte ihre Straßenkleidung abgelegt und war in den an diesem Ort üblichen altrosa Kaftan geschlüpft. Sie hatte ihre Frisur gelöst, so daß ihre Haare jetzt in einen prächtigen, locker geflochtenen Zopf zusammenflossen.
Frannie rieb sich die Augen und schwang die Beine aus dem Bett. »Ich bin nicht besonders nervös. Sollte ich es denn sein?«
»Ach, Schatz … Das wird die außergewöhnlichste Nacht deines Lebens.«
»Jetzt bin ich nervös.«
»Es wird schon alles gutgehen.«
»Ich komme mir langsam vor wie eine närrische alte Jungfer.«
»Unsinn. Du wirst hier die Jüngste sein.«
Frannie kicherte. »Daran hab ich noch gar nicht gedacht.«
»Du sollst auch nicht denken, mein Schatz … Du sollst es fühlen. Das ist das Geheimnis von Pinus. Laß deinen Gefühlen freien Lauf.«
»Ich werd’s versuchen.«
»Gut. Jetzt … noch eine Vitamin Q, und dann machen wir uns auf die Socken.«
Beim Anblick des Amphitheaters verschlug es Frannie den Atem. Vor der Kulisse des langsam in die Dunkelheit tauchenden Hügels saßen an die hundert Frauen in altrosa Liegestühlen und blickten träge auf die Freilichtbühne vor ihnen.
In der Mitte der Bühne loderte ein Freudenfeuer, das dem riesigen goldenen P, das darüber hing, einen mystischen Glanz gab. Als Helena erschien, begann das Publikum zu janen.
»Aaaahhhhaaaahhhheeeeaaaabhhh! «
Der ohrenbetäubend laute Schrei rollte heran wie Donner und jagte Frannie kurze Schauer über den Rücken. Sie zupfte ihren Kaftan zurecht, tastete an ihrer Frisur herum und wartete auf Helenas Zeichen.
»Meine Damen«, sagte Helena, die spielend ohne ein Mikrofon auskam, »wir wissen alle, warum wir heute abend hier sind, und deshalb wollen wir gleich anfangen. Ohne lange Umschweife möchte ich Ihnen jetzt … die jüngste Kandidatin vorstellen, die in die Mysterien von Pinus eingeweiht wird … Frannie Halcyon!«
Diesmal ließ das Gejane beinahe die Bäume erzittern. Frannie trat hocherhobenen Hauptes auf die Bühne und stellte sich neben Helena an das
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