Mehr von deinen Küssen
besser als die Ungewissheit, nachdem Yancey über mysteriöse Kontakte zum ersten Mal erfahren hatte, dass Ethan sich irgendwo im südamerikanischen Dschungel befand und auf der Flucht vor dem Drogenkartell war.
Die einzige Nachricht, die ihr Bruder selbst Yancey hatte zuspielen können, war, dass er sich einen Arm gebrochen hatte. Sie solle sich keine Sorgen machen, er würde bald nach Hause kommen und sich dann als Erstes den gebrochenen Knochen richten lassen.
“Wenn ich nach Hause komme …” Wie oft hatte sie das gehört? Wie viele Verletzungen jeder Art hatte Ethan im Lauf der Zeit mitgebracht? Und wie oft hatte er ihre Besorgnis mit einer herzlichen Umarmung und einem Kuss abgetan?
Diese unbekümmerte Haltung machte Haley ärgerlich, und ihr traten Tränen in die Augen. Schnell blinzelte sie sie weg. Nein, sie würde nicht um ihren geliebten, abenteuerlustigen Bruder weinen.
Und auch nicht um den zweiten Mann, wegen dem sie nachts wach lag.
Jackson Cade.
Sie hatte versucht, nicht an ihn zu denken. Als das nicht klappte, hatte sie versucht, sich nur an seine Wut und seine Beleidigungen zu erinnern. Doch es war nicht leicht, eine andere lebhafte Erinnerung auszublenden. Jackson mit siebzehn. Stark, breitschultrig, nicht ganz so groß wie seine Brüder, aber genauso attraktiv mit seinem rotbraunen Haar und seinen strahlend blauen Augen, die manchmal faszinierend grünlich schimmerten.
Er hatte mit ihr getanzt, der schmächtigen, neu zugezogenen Außenseiterin, als kein anderer Junge auf dem Schulball mit ihr tanzen wollte. Im schwarzen Smoking, mit einer Rose am Revers, war er wie ein galanter Ritter quer über die Tanzfläche auf die Reihe der Mauerblümchen zugegangen.
Als er vor ihr stehen blieb, war sie sicher, dass das ein Versehen war. Doch dann verbeugte er sich leicht, überreichte ihr die Rose – die sie immer noch wie einen Schatz aufbewahrte – und führte sie auf die Tanzfläche.
Den ganzen Abend lang hatte er mit ihr getanzt und ihr dabei das Gefühl gegeben, das anmutigste Mädchen im ganzen Ballsaal zu sein. Er hatte sogar mit ihr geredet und sie aus der Reserve gelockt, und als sie von sich erzählte, zugehört.
Als der Ball fast zu Ende war, hatte er ihr beim Abschied noch etwas gesagt.
“Du musst an dich glauben. Wenn du nicht an dich selbst glaubst, sei es, dass du clever bist oder stark oder hübsch, wird auch kein anderer an dich glauben.”
“Du musst an dich glauben”, wiederholte Haley leise Jacksons Worte von damals.
Sie musste lächeln. Jackson Cade, der junge Philosoph. Klug und weise für sein Alter, vielleicht durch eigene leidvolle Erfahrung. Vielleicht hatte er seinen Schmerz durch Nettigkeit lindern wollen, doch auf jeden Fall war er zum Traum des Mauerblümchens geworden.
Er hatte sie nicht nach ihrem Namen gefragt, und vor lauter Nervosität hatte sie sich nicht vorgestellt. Es war fraglich, ob er je gewusst hatte, wie sie hieß. Sie war bloß ein Mauerblümchen gewesen, um das er sich gekümmert hatte. Nach seiner guten Tat des Abends, nachdem er ihr noch einen Merkspruch mitgegeben hatte, war er gegangen, ohne sich umzudrehen. Offenbar hatte er sie seitdem vollkommen vergessen.
Sie jedoch hatte ihn nie vergessen. Der Tanz mit ihm und seine weisen Worte waren zum Wendepunkt ihres Lebens geworden. Sie war nicht mehr sehr lange in Belle Terre geblieben. Doch die Erinnerung an die Stadt und den Jungen hatte sie für immer in ihrem Herzen bewahrt.
Das, was sie aus ihrem Leben gemacht hatte, was sie erreicht hatte, die Stärke, sich nicht kleinkriegen zu lassen, waren aus ihr selbst gekommen.
Dieses Selbstvertrauen hatte sie der Klugheit eines siebzehnjährigen Jackson Cade zu verdanken. Für dieses Geschenk und die instinktive Erkenntnis, dass auch andere litten und überlebten, konnte sie ihm seine Launen verzeihen, sogar seinen unerklärlichen Ärger auf sie, und hoffen, dass er mit der Zeit abgeklärter wurde.
Abgeklärter? Haley musste lachen. Jackson Cade und abgeklärt? Nie und nimmer!
Wahrscheinlich war er schon als Hitzkopf auf die Welt gekommen. Und falls sie sich noch einmal in ihn verliebte – wie damals, als er siebzehn und sie fünfzehn gewesen war –, dann würde sie eben lernen müssen, mit seinem Temperament fertigzuwerden, und Feuer mit Feuer bekämpfen.
Zu ihrer größten Überraschung hatte sie nämlich bemerkt, dass trotz all seines Grolls und Spotts ein bestimmter Ausdruck in seinen Augen lag, wenn er sie anschaute. Ein Ausdruck,
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