Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
hübsch. Es war immer eine herrliche Sache. Diesmal aber fiel ich neben der Meute hin und schlug mit dem Kopf gegen eine Steinmauer. Ich kann mich erinnern, dass mich vom Oberkopf Richtung Nacken ein scharfer Schmerz durchzuckte.
Als ich mich erhob, starrten mich alle mit einzigartig verzückten Mienen an und machten mir sogar ein bisschen Platz. Lonny Brankovich warf einen Blick auf mich und sank sofort in Ohnmacht. Sein Bruder nahm kein Blatt vor den Mund und sagte zu mir: »Du stirbst.« Ich konnte natürlich nicht sehen, was meine Zuschauer so faszinierte, doch aus späteren Schilderungen entnehme ich, dass es aussah, als hätte ich einen Rasensprenkler oben in meinen Kopf gesteckt, der in beinahe festlicher Weise in alle Richtungen Blut versprühte. Ich langte nach oben und fasste in sprudelnde Nässe. Es fühlte sich an, wie wenn es aus einem Hydranten spritzt, gegen den ein Lastwagen gekracht ist, oder wie wenn man in Oklahoma auf Öl stößt. Es fühlte sich an, als müsse hier Red Adair in Aktion treten.
»Ich glaube, das lass ich besser mal nachschauen«, stellte ich ganz sachlich fest und verließ mit Siebenmeilenstiefeln den Hof. Im Nu war ich zu Hause und spazierte, immer noch üppig spritzend, in die Küche. Dort stand mein Vater mit einer Tasse Kaffee am Fenster und betrachtete verträumt Mrs. Bukowski, unsere junge Nachbarsfrau. Mrs. Bukowski besaß als Erste in Iowa einen Bikini und trug ihn zum Wäscheaufhängen draußen im Garten. Mein Vater erblickte meinen blutüberströmten Kopf, gönnte sich einen Moment der Gewöhnung an den Anblick, ohne zu begreifen, was das sollte, und geriet dann passenderweise sofort in Panik. Er bewegte sich gleich in sechs Richtungen auf einmal und rief mit gequälter Stimme meiner Mutter zu, sie solle sofort kommen und ganz viele Handtücher mitbringen, »alte!«, denn Billy verblute gerade in der Küche.
Danach kann ich mich an nichts Genaues mehr erinnern. Ich weiß noch, dass mein Vater mir sagte, ich solle mich hinsetzen und den Kopf gegen den Küchentisch pressen, während er sich bemühte den Blutstrom zu stillen und gleichzeitig Dr. Alzheimer, unseren Hausarzt, ans Telefon zu kriegen, damit der ihm Anweisungen gab. Meine Mutter, wie stets durch nichts zu erschüttern, suchte systematisch alte Lappen und Stofffetzen zusammen, die man ruhig opfern konnte (oder die schon rot waren), und kümmerte sich um die Kinder, die eines nach dem anderen mit Knochensplittern und Stückchen grauer Masse, die sie sorgfältig von der Steinmauer abgekratzt hatten und für Teile meines Hirns hielten, an der Hintertür auftauchten.
Ich konnte natürlich nicht viel sehen, da ich den Kopf gegen den Tisch presste, doch ich erwischte ein paar Spiegelbilder im Toaster. Mein Vater schien bis zu den Ellenbogen in meiner Schädelhöhle zu stecken und redete gleichzeitig mit Dr. Alzheimer, was nicht gerade tröstlich klang. »Herr im Himmel, Doc«, sagte er. »Sie glauben nicht, wie viel Blut… Wir schwimmen drin.«
Am anderen Ende der Leitung hörte ich Dr. Alzheimers dement gelassene Stimme. »Hm, ich könnte rüberkommen«, sagte er. »Aber ich sehe gerade so ein wahnsinnig gutes Golfturnier. Ben Hogan spielt eine wunderbare Runde. Ist es nicht fantastisch, wie gut er in seinem Alter noch spielt? Also, haben Sie die Blutung gestillt?«
»Ich tue mein Bestes.«
»Gut, gut. Ausgezeichnet – ganz ausgezeichnet. Denn er hat ja wahrscheinlich schon eine ganze Menge Blut verloren. Sagen Sie, atmet der kleine Kerl noch?«
»Ich glaube, schon«, erwiderte mein Vater.
Ich, stets gefällig, nickte heftig.
»Ja, er atmet noch, Doc.«
»Gut, sehr gut. Okay, ich sag Ihnen was. Geben Sie ihm zwei Aspirin und ab und zu einen Schubs, damit er nicht das Bewusstsein verliert. Sie dürfen auf keinen Fall zulassen, dass er ohnmächtig wird, hören Sie, sonst verlieren Sie den kleinen Burschen noch – und dann komme ich nach dem Turnier. Jetzt schauen Sie sich das an – er hat vom Grün aufs Rough geschlagen.« Dann hörte man, wie Dr. Alzheimers Telefon auf die Gabel gelegt wurde, dann die Amtsleitung.
Glücklicherweise bin ich nicht gestorben. Vier Stunden später saß ich im Bett, einen extravaganten Turban um den Kopf und gut ausgeruht nach einem Nickerchen, in das ich während eines der Dreistundenmomente gesunken war, als meine Eltern vergaßen, zu kontrollieren, ob ich schlief. Ich futterte einen Becher Schokoladeneis nach dem anderen und empfing huldvoll Besucher aus der Nachbarschaft,
Weitere Kostenlose Bücher