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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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einerlei, in welchem Zusammenhang, kriegte man schon ein ungutes Gefühl, weil es am Ende ja doch sein konnte, dass man nicht hundertprozentig Recht hatte.
    »Gut, jedenfalls hat mein Bruder es gesagt«, sagte man und versuchte, sich um die ewige Haftbarkeit herumzumogeln.
    »Jetzt kannst du nichts mehr daran ändern«, bemerkte Bergen – der sich, nicht zufällig, später als Anwalt auf Körperverletzung spezialisierte. »Du hast es gesagt.«
    Ja, das wusste man selbst nur allzu gut. Und konnte unter diesen Umständen nur mal wieder eines tun: Milton Milton eine Knopfnuss verpassen.
    Kaum weniger gefährlich als Giftsumach waren fleischige rote Beeren, die in Klumpen an Sträuchern in den Gärten hinter fast allen Häusern wuchsen. Auch über die wusste keiner so recht Bescheid, da weder Strauch noch Beeren Namen zu haben schienen. Sie hießen überall nur »die roten Beeren« oder »der Strauch mit den roten Beeren«, doch man war einhellig der Meinung, dass sie giftig seien. Wenn man eine Beere auch nur kurz berührt oder in der Hand gehalten hatte und später einen Keks oder ein Butterbrot aß und einem einfiel, dass man sich die Hände nicht gewaschen hatte, dachte man eine Stunde lang ernsthaft, dass man jeden Augenblick tot umfallen werde.
    Auch die Mütter machten sich Sorgen wegen der Beeren und riefen ständig aus den Küchenfenstern, man solle sie nicht essen, was vollkommen unnötig war, denn Kinder der fünfziger Jahre aßen nichts wild Wachsendes – ja, sie aßen sowieso nur das, was in Zucker glasiert und von einem berühmten Sportler oder Fernsehstar empfohlen wurde und zu dem es ein Gratisgeschenk gab. Unsere Mütter hätten uns genauso gut erzählen können, wir sollten keine toten Katzen essen, wenn wir welche fänden. Auf die Idee wären wir ja auch nie gekommen.
    Interessanterweise waren die Beeren keineswegs giftig. Ich kann das mit einiger Überzeugung behaupten, weil wir Lanny Kowalskis kleinem Bruder Lumpy einmal circa vier Pfund davon zu essen gaben, um zu sehen, ob er starb. Er starb nicht. Es war ein kontrolliertes Experiment, muss ich schnell hinzufügen. Wir fütterten ihn immmer nur mit jeweils einer Beere und warteten eine angemessene Pause, um zu sehen, ob er die Augen verdrehte oder sonst was passierte, bevor wir ihm noch eine gaben. Doch abgesehen davon, dass er die mittleren zwei Pfund wieder erbrach, zeigten sich keine bösen Folgen.
    Die einzige echte Gefahr in unserem Leben waren die Butter-Jungs. Die Butters waren eine Familie von großen, inzüchtigen, zahlenmäßig nicht feststellbaren Individuen und hausten eine Hälfte des Jahres in einer Ansammlung von Nissenhütten in den Bottoms, einem Gebiet ewiger waldiger Düsternis an den sumpfigen Ufern des Raccoon River. Fast jedes Frühjahr wurden die Bottoms überschwemmt und dann gingen die Butters alle zurück nach Arkansas oder Alabama oder wo immer sie herkamen.
    Wenn sie aber da waren, bedrohten sie uns. Ihre Spezialität war es, jedes Kind zu quälen, das kleiner war als sie selbst. Kurzum: alle Kinder. Die Butters waren schon von Geburt an groß, doch weil sie Jahr um Jahr sitzen blieben, waren sie immer viel, viel größer als alle ihre Klassenkameraden. In der Sechsten waren manche von ihnen schon so groß, dass sie nicht mehr durch die Tür passten. Sie waren auch hässlich und strohdoof. Sie aßen Eichhörnchen.
    Am besten war es, wenn man ihnen ein kleines Kind als Opfer vorwerfen konnte. Lumpy Kowalski war dafür ideal, denn er war immun gegen Schmerzen und Furcht und verpetzte einen nie, weil er nicht sprechen konnte, vielleicht aber auch nicht wollte. (Das war nie klar.) Außerdem waren die Butters immer schnell von seinen schmutzigen Hosen angewidert, denn Lumpy schaffte es nie rechtzeitig zum Klo. Sie tatschten ein bisschen an ihm herum und zogen sich dann mit schmerzlich verwirrter Miene zurück.
    Am schlimmsten war, wenn man von einem oder mehreren der Butter Boys allein erwischt wurde. Als ich etwa zehn war, wurde ich einmal von Buddy Butters geschnappt, der in meiner Klasse, aber mindestens sieben Jahre älter war als ich. Er zerrte mich unter eine große Kiefer, drückte mich rücklings auf den Boden und sagte mir, so werde er mich nun die ganze Nacht festhalten.
    Ich wartete angemessen lange und sagte dann: »Warum machst du das?«
    »Weil ich es kann«, antwortete er und gab dann den schleimigen, selbstzufriedenen Rotzschnäuzlaut von sich, der im Universum der Butters als Lachen galt.
    »Dann musst du

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