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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Trinkwasser zu tun oder sonstwie den American Way of Life zu stören und zu attackieren. Zorro quälte aus unbekannten, doch offenbar guten Gründen einen tölpeligen Sergeant Garcia. Der Lone Ranger kämpfte für Recht und Gesetz in der Frühzeit des Wilden Westens. Ich brachte Schwachköpfe um. Tue ich immer noch.
    Ich dachte immer viel über den Röntgenblick nach, weil ich nicht begriff, wie er funktionierte. Ich meine, wenn man damit durch die Kleidung von Leuten schauen konnte, sah man sicher auch durch ihre Haut und direkt in ihre Körper, Blutgefäße, pulsierenden Organe. Man sah, wie das Essen verdaut und durch die Darmschlingen geschoben wurde und vieles andere Ekelige, von dem man lieber nicht sprach. Selbst wenn man seine Röntgenstrahlen nur auf die rosige Epidermis richtete, würde jeder Körper, den man betrachtete, von unsichtbarer Unterwäsche zusammengedrückt und nicht in seinem reizvollen natürlichen Zustand sein. Die Brüste zum Beispiel würden sich seltsam eingeengt, hochgeschoben und in einen unsichtbaren BH eingekastelt präsentieren und nicht hübsch locker wippen. Zufriedenstellend war das nicht – oder jedenfalls beileibe nicht zufriedenstellend genug. Es war also notwendig, ThunderVision™ zu perfektionieren, eine Art Laserblick, der es mir ermöglichte, Unterwäsche verschwinden zu lassen. Dass man ThunderVision – ein Grad schärfer eingestellt und auf einen einzigen Punkt konzentriert – auch als machtvolle Waffe einsetzen konnte, um Leute, die einen ärgerten, zu vaporisieren, war ein erfreulicher, doch vollkommen zufällig zustande gekommener weiterer Vorteil.
    Im Gegensatz zu Superman erklärte mir niemand die Grundlage meiner Kräfte. Ich musste mich selbst in die Superwelt einfinden und mir eigene Vorbilder suchen. Was nicht leicht war, denn die 1950er Jahre strotzten zwar vor Helden, aber ganz koscher war das alles nicht. Fast alle Heldenfiguren der Zeit waren komisch und einen Hauch verstörend. Die meisten lebten mit einem Mann zusammen, nur Roy Rogers nicht, der singende Cowboy. Der lebte mit einer Frau zusammen, Dale Evans, die sich aber kleidete wie ein Mann. Batman und Robin sahen fraglos aus, als gingen sie zu einem schwulen Karneval, und Superman war eigentlich um keinen Deut besser. Sehr verwirrend: Es gab sogar zwei Supermänner. Der Comic-Superman hatte bläuliches Haar, lachte nie und war sogar oft jähzornig. Der Fernsehsuperman war viel freundlicher und ein bisschen wabbelig um die Brüste und wurde sogar mit den Jahren schlappschwänziger und saumseliger.
    Desgleichen wurde der Lone Ranger, von vornherein schon nicht der Typ, mit dem man in einem Zweimannzelt liegen wollte, noch komischer durch die Tatsache, dass er im Fernsehen von zwei verschiedenen Schauspielern dargestellt wurde – von 1948 bis 1951 und 1954 bis 1957 von Clayton Moore und in den Jahren dazwischen von John Hart. Da die einzelnen Folgen auf dem lokalen Fernsehsender aber willkürlich durcheinander wiederholt wurden, bekam man den Eindruck, dass der Lone Ranger nicht nur eine kleine Maske trug, von der sich keiner hinters Licht führen ließ, sondern auch noch von Zeit zu Zeit den Körper wechselte. »Ein feuriges Pferd, schnell wie das Licht, eine Staubwolke und ein kräftiges ›Hei-ho, Silver!‹«, den Spruch führte er beständig im Munde, obwohl der, einerlei, wie man ihn betrachtete, keinerlei Sinn ergab.
    Roy Rogers, mein erstes wahres Idol, war in vieler Hinsicht am allerverwirrendsten. Zum einen war er seltsam anachronistisch. Er wohnte in einer Stadt im Westen, in Mineral City, einer ganz normal im 19. Jahrhundert angesiedelten Stadt. Es gab dort Holzbürgersteige und Pfosten zum Tiereanbinden, in den Häusern benutzte man Petroleumlampen, alle ritten auf Pferden und hatten sechsschüssige Revolver dabei, der Sheriff war angezogen wie ein Cowboy und trug einen Stern. Doch wenn die Leute in Dale’s Café Kaffee bestellten, wurde er ihnen in einer Glaskanne gebracht, die auf einer elektrischen Platte gestanden hatte. Hin und wieder tauchten sogar moderne Polizisten oder FBI-Leute in Autos oder auch Kleinflugzeugen auf, die flüchtige Kommunisten suchten, und wenn das passierte, weiß ich noch genau, dass ich dachte: »Hä, verdammte Kacke?«, oder was auch immer das Äquivalent im Sprachschatz eines Fünfjährigen war.
    Außer bei Zorro – der wirklich wusste, wie er einen Degen zum Tanzen brachte – waren die Kämpfe immer kurz und unblutig; es musste nie jemand ins Krankenhaus

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