Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
gebracht werden, geschweige denn, dass er ins Koma fiel, umfänglich verwundet wurde oder das Zeitliche segnete. Meist sprang jemand von einem Felsbrocken auf jemanden, der auf einem Pferd vorbeiritt, und dann folgte ein ausgiebiger flotter Ringkampf. Zum Schluss standen die beiden Streithähne auf, und der Gute schlug den Bösen nieder. Roy und Dale trugen beide Knarren – alle trugen Knarren, auch Magnolia, ihre närrische schwarze Dienerin, und Pat Brady, der Koch –, brachten aber nie jemanden um. Sie schossen nur bösen Menschen die Pistolen aus der Hand und streckten sie dann mit einem Faustschlag nieder.
Denkwürdig an Roy Rogers war außerdem – und daran erinnere ich mich besonders deshalb, weil mein Vater immer eine Bemerkung dazu machte, wenn er zufällig durchs Zimmer ging –, dass im Abspann Roys Pferd Trigger vor seiner Gattin Dale Evans genannt wurde.
»Aber Trigger ist auch viel talentierter«, sagte mein Vater immer.
Woraufhin wir dann beide unisono riefen: »Und sieht besser aus!«
Meine Güte, was waren wir damals zufriedene Menschen.
IV
Zeit der Aufregung
Studie zeigt, dass Aperitif dem Herzen nicht schadet
Philadelphia, Penn. (AP) – Zwei Cocktails vor dem Essen und ruhig auch noch ein dritter fügen Ihrem Herzen keinerlei Schaden zu. Ja, sie tun ihm vielleicht sogar gut. Zu diesem Schluss kam eine Forschungsgruppe am Lankenau Hospital in einer Studie, die teilweise von der Heart Association of Southeastern Pennsylvania finanziert wurde.
Des Moines Register , 12. August 1958
Bild 10
I ch weiß nicht, wie es den Leuten, die für die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts verantwortlich waren, gelang, eine Welt zu kreieren, in der im Grunde alles gut für einen war. Ein Schluck vor dem Essen? Je mehr, desto besser! Rauchen? Aber gewiss doch! Zigaretten machten einen sogar gesünder, weil sie laut der Werbung überreizte Nerven beruhigten und müde Geister munter machten. »Genau, was der Arzt verschreibt!«, steht in Anzeigen für L&M-Zigaretten, die sogar im Journal of the American Medical Association erschienen, denn dort wurde Zigarettenwerbung bis in die sechziger Jahre hinein gern genommen. Röntgenstrahlen waren so gutartig, dass man in Schuhgeschäften Geräte aufstellte, mit denen man die Fußgrößen maß, indem man die alles durchdringenden Strahlen durch die Sohlen und oben durch den Kopf wieder hinausschickte. Kein Partikelchen Gewebe desjenigen, der auf dem Ding stand, wurde nicht in magischen Schimmer getaucht. Was Wunder, dass man voll neuer Energie und bereit für ein neues Paar Keds war, wenn man wieder normalen Boden betrat.
Glücklicherweise waren wir unzerstörbar. Wir brauchten keine Sicherheitsgurte, Airbags, Rauchmelder, Trinkwasser in Flaschen oder den Heimlich-Handgriff zum Entfernen von Fremdkörpern aus einem erstickenden Opfer. Wir brauchten keine Kindersicherheitsverschlüsse an unseren Medikamenten. Auch keine Helme zum Fahrradfahren und keine Knie-oder Ellenbogenschützer zum Skaten. Wir wussten, auch ohne dass man uns schriftlich darauf hinwies, dass ein Bleichmittel kein Erfrischungsgetränk ist und Benzin dazu neigt, sich zu entzünden, wenn man ein brennendes Streichholz daranhält. Wir mussten uns keine Sorgen um das machen, was wir aßen, denn fast alle Nahrungsmittel waren gut für uns: Zucker gab uns Energie, rotes Fleisch machte uns stark, Eiskrem gab uns gesunde Knochen, Kaffee hielt uns wach und produktiv am Schnurren.
Jede Woche brachte aufregende Neuigkeiten, dass alles noch besser, schneller, bequemer wurde. Nichts war zu grotesk, um es auszuprobieren. »Post wird mit Lenkflugkörpern zugestellt«, berichtete der Des Moines Register mit einer deutlichen Spur Aufregung und Stolz am Morgen des 8. Juni 1959. Die Post der Vereinigten Staaten hatte von einem U-Boot im Atlantischen Ozean eine Regulus I-Rakete mit 3000 Briefen 100 Meilen weit zu einem Luftwaffenstützpunkt in Forida geschossen. Bald, versicherte uns der Artikel, würden mit Post beladene Raketen über den Himmel der Nation flitzen. Praktisch stündlich, stellten wir uns vor, träfen Eilbriefe in Flugkörpern ein, die mit der Rumpfspitze vorneweg dumpf in unseren Gärten aufschlugen.
»Ich glaube, wir werden erleben, dass ein bedeutender Teil der Post mit Raketen zugestellt wird«, verhieß Postminister Arthur Summerfield bei den folgenden Feierlichkeiten. Dann hörte man nichts mehr von Raketenpost. Vielleicht war noch rechtzeitig jemandem gedämmert, dass durch die Gegend
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