Mein Auge ruht auf dir - Thriller
…«
Das alles ging Pater Aiden durch den Kopf, als er sich an seinen Schreibtisch setzte und Simon Benet und Rita Rodriguez aufforderte, auf den Besucherstühlen Platz zu nehmen.
Jonathan war sehr geduldig und liebevoll mit Kathleen umgegangen, bis er Lillian kennengelernt hatte, dachte Pater Aiden. Und jetzt soll Kathleens verwirrter Geist sie zu einer Tat getrieben haben, die sie niemals begangen hätte, wenn sie noch die Person wäre, die er seit so langer Zeit kannte?
»Vielen Dank, Pater, dass Sie uns so kurzfristig empfangen konnten«, begann Benet. »Wie ich schon am Telefon erklärt habe, ermitteln wir für die Staatsanwaltschaft des Bergen County im Mordfall Professor Jonathan Lyons.«
»Ich verstehe«, erwiderte Pater Aiden.
Die von ihm erwarteten Fragen kamen in kurzer Abfolge. Wie lange kannte er die Lyons’ schon? Wie oft hatte er sie gesehen? Wusste er von Professor Lyons’ Affäre mit Lillian Stewart?
Hier begeben wir uns auf heikles Terrain, dachte Pater Aiden, fasste in die Tasche, zog ein Tuch heraus, nahm seine Brille ab, putzte sie und steckte das Tuch wieder ein, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
»Ich bin Professor Stewart zwei- oder dreimal begeg net«, sagte er. »Das letzte Mal vor über drei Jahren, sieht man davon ab, dass ich sie gestern während der Totenmesse bemerkt habe. Sie ist spät in die Kirche gekommen, und wann sie wieder gegangen ist, weiß ich nicht.«
»Hat sie Sie jemals angesprochen und Sie um Rat gefragt, Pater?«, fragte Rita Rodriguez.
»Viele, die mich um Rat fragen, tun dies in dem Bewusstsein, dass ihre Privatsphäre gewahrt bleibt. Leiten Sie aus meiner Antwort keinerlei Schlussfolgerungen ab, wenn ich Ihnen sage, dass ich es nicht für angemessen halte, auf Ihre Frage einzugehen.« Diese attraktive junge Polizistin, die sich so respektvoll gibt, weiß ganz genau, dass ich der Letzte bin, den Lillian Stewart um Rat fragen würde, dachte Pater Aiden. Das ist eine Fangfrage.
»Pater Aiden, wie wir erfahren haben, war Jonathan Lyons’ Tochter Mariah ganz und gar nicht einverstanden mit der Liaison zwischen ihrem Vater und Lillian Stewart. Hat sie jemals mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Noch einmal …«
Benet fiel ihm ins Wort. »Pater, wir haben vor etwa einer Stunde mit Mariah Lyons geredet. Sie hat uns von sich aus erzählt, dass sie sich bei Ihnen über Lillian Stewart beklagt hat und der Ansicht ist, dass die Beziehung ihres Vaters zu Lillian Stewart dem Zustand ihrer Mutter nicht zuträglich wäre.«
»Dann wissen Sie ja, worüber Mariah und ich gesprochen haben«, sagte Pater Aiden leise.
»Pater, gestern haben Sie Mariah erzählt, dass ihr Vater Sie vor zehn Tagen besucht hat … am Mittwoch, dem fünfzehnten August, um genau zu sein«, sagte Benet.
»Ja, ich habe Mariah erzählt, dass Jonathan Lyons ein Dokument von unschätzbarem Wert gefunden zu haben glaubte. Dieses Dokument ist entweder als Josef-von-Arimathäa-Pergament oder als Vatikanischer Brief bekannt.«
»Hat Jonathan Lyons Sie eigens wegen dieses Pergaments aufgesucht?«, fragte Rodriguez.
»Jonathan und ich waren seit Langem befreundet«, antwortete Pater Aiden. »Es ist häufig vorgekommen, dass er mich im Kloster besucht hat, wenn er in der Nähe war. An jenem Mittwochnachmittag hat er mir gesagt, dass er alte Pergamente begutachte, die in einer bereits seit geraumer Zeit geschlossenen und nun kurz vor dem Abriss stehenden Kirche gefunden worden wa ren. In einer Wand dort hatte man in einer geheimen Kammer alte Dokumente entdeckt, die er übersetzen sollte.« Pater Aiden lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. »Sie haben vielleicht schon mal vom Turiner Grabtuch gehört?«
Beide Polizisten nickten.
»Viele halten es für das Leichentuch, in das Jesus nach der Abnahme vom Kreuz gelegt worden war. Selbst der gegenwärtige Papst Benedikt hat verlauten lassen, dass er an seine Echtheit glaubt. Aber werden wir das jemals mit Gewissheit sagen können? Ich bezweifle es, auch wenn etliche überzeugende Beweise darauf hindeuten. Der Vatikanische Brief, von dem ich eben sprach, fällt in die gleiche Kategorie. Falls das Dokument echt ist, wäre es das einzige uns bekannte Schriftstück von Jesus Christus.«
»War Josef von Arimathäa nicht derjenige, der Pontius Pilatus um den Leichnam Jesu gebeten hat, damit er ihn in seinem eigentlich für ihn bestimmten Grab bestatten konnte?«, fragte Rita Rodriguez.
»Ja. Josef war ein langjähriger geheimer Jünger Christi. Wie
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