Mein Auge ruht auf dir - Thriller
als ›so ein Dokument‹ bezeichnen. Ich würde es als außerordentlichen Segen betrachten, wenn ich ihn auch nur in der Hand halten dürfte.«
»Verstehe«, sagte Simon. »Die Vorschriften verlangen, dass ein Mitglied der Staatsanwaltschaft anwesend ist, wenn ein Experte Beweisstücke begutachtet.«
»Damit habe ich kein Problem. Ich bin bereit.«
»Das Büro nebenan ist vorbereitet. Ich bringe die Sachen rüber.«
Fünf Minuten später waren Simon Benet und Rita Rodriguez, jeder mit einem frischen Becher Kaffee in der Hand, wieder allein in ihrem Büro. »Wenn Pater Kelly das Pergament findet, heißt das für mich, dass der Fall mit Kathleen Lyons beginnt und endet«, sagte Simons. »Die Tochter sagt, wenn er nicht daran gearbeitet hat oder nicht zu Hause war, hat er die Schriftstücke immer in seinem Schreibtisch weggeschlossen. Dort haben sie auch gelegen, als er ermordet wurde. Falls dieses eine Pergament allerdings nicht dabei sein sollte, hätte die betreffende Person, der er das Pergament eventuell zur Aufbewahrung überlassen hat, mittlerweile Mariah längst Bescheid geben müssen. Selbst sie hat uns gegenüber zugegeben, dass er es nur ungern in Kathleens Nähe gelassen hat, aus Angst, sie könnte es finden und ebenso in kleine Stücke schneiden wie die Fotos von ihm und seiner Geliebten.«
Rita antwortete nicht sofort, sondern sah ihn nur unverwandt an. »Simon«, begann sie schließlich, »um ehrlich zu sein, nachdem ich heute Kathleen Lyons im Gerichtssaal gesehen habe, kann ich mir kaum vorstellen, wie sie es geschafft haben soll, die Waffe vor den anderen zu verbergen, sie möglicherweise auch noch selbst zu laden, sich dann von hinten an Jonathan anzuschleichen und ihn zu erschießen – ganz davon zu schweigen, dass sie ihn aus einem Abstand von drei bis vier Metern genau im Hinterkopf getroffen hat.«
Sie wusste, dass Simon ungehalten reagieren würde, also fuhr sie hastig fort. »Hör zu und lass mich ausreden, bevor du über mich herfällst. Ich weiß, sie hat ihren Mann auf den Schießstand begleitet und konnte früher mit so einer Waffe sicherlich gut umgehen. Aber hast du sie heute gesehen? Ihr mangelt es an jeglicher körperlicher Koordinationsfähigkeit. Sie hat einen völlig verwirrten Eindruck gemacht, als sie sich im Gerichtssaal umgesehen hat. Sie hat uns nichts vorgespielt. Ich wette, der Psychiater wird feststellen, dass ihre Aufmerksamkeitsspanne gegen null geht. Ich gehe davon aus, wenn das Pergament nicht in diesem Karton liegt, dann dürfte die Person, in deren Besitz es sich gerade befindet, es verkaufen wollen, und diese Person dürfte auch an Jonathans Tod beteiligt gewesen sein.«
»Rita, wir haben gestern die richtige Person verhaftet.« Simon hatte die Stimme erhoben. »Kathleen Lyons verhält sich nicht anders als die letzten Tage auch. Ich will nicht abstreiten, dass sie Alzheimer hat, aber das hat sie damals nicht davon abgehalten, die Fotos zu zerschneiden, weil sie wütend auf ihren Mann war. Und das hat sie anscheinend auch letzte Woche nicht davon abgehalten, ihm in den Kopf zu schießen, weil sie immer noch wütend auf ihn ist.«
Eine Stunde später klopfte es an der Tür, und Pater Kelly trat ein. »Es liegen nicht viele Dokumente im Karton, die Durchsicht war nicht sehr aufwendig. Nichts davon ist von wirklichem Wert, und ganz bestimmt befindet sich nicht ein von Jesus verfasster Brief darunter, das darf ich Ihnen versichern. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
30
N ach der Anklageerhebung gegen ihre Mutter kehrte Mariah ins Haus ihrer Eltern zurück. In ihrem Zimmer schlüpfte sie in eine Freizeithose und einen Baumwoll-Sweater und steckte sich die Haare mit einer Spange hoch. Daraufhin starrte sie eine geschlagene Minute in den Spiegel und betrachtete ihr Gesicht und die dunkelblauen Augen, die so sehr denen ihres Vaters glichen. »Dad«, flüsterte sie, »ich verspreche dir, wir werden Moms Unschuld beweisen.«
Mit ihrem Laptop ging sie nach unten ins Arbeitszimmer ihres Vaters. Nach der Hektik und Aufregung im Gerichtssaal war sie dankbar für die Ruhe im Haus. Sie ließ sich auf dem Küchenstuhl nieder, der an der Stelle des Schreibtischsessels stand, den die Polizei in der Mordnacht mitgenommen hatte.
Ich habe mich die gesamte letzte Woche nicht um meine Kunden gekümmert, dachte Mariah. Also, erst die Dinge erledigen, die unbedingt anstehen, dann kann ich mich mit Dads Finanzen beschäftigen. Gott sei Dank lässt sich vieles von hier aus
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