Mein Auge ruht auf dir - Thriller
spät ein. Er entschuldigte sich mit dem unerwartet starken Verkehr auf der George-Washington-Brücke und der Tatsache, dass er für die Fahrt aus Manhattan nicht genügend Zeit eingeplant hatte.
Benet sah zu Rodriguez. Auch ihr musste aufgefallen sein, wie nervös West war. Weil er zu spät gekommen ist oder weil er etwas zu verbergen hat?, fragte sich der Detective. Er nahm sich vor, sich später nach den Verkehrsbedingungen in der letzten Stunde auf der Brücke zu erkundigen. West war leger gekleidet und trug Jeans und ein kurzärmeliges Hemd. Benet fiel auf, dass er die Hände wiederholt zu Fäusten ballte, wobei sich an Händen und Armen sehnige Muskeln abzeichneten. Der Mann war zwar keine eins siebzig groß, musste aber über einige Kraft verfügen.
»Professor West, bei unserem Telefonat letzte Wo che haben Sie mir gesagt, dass Sie das von Professor Lyons entdeckte Pergament nie gesehen haben. Ist das richtig?«
»Ja, aber natürlich! Eineinhalb Wochen vor seinem Tod hat Jonathan mir von dem Pergament erzählt. Er war darüber ganz aus dem Häuschen. Ich habe ihn gewarnt, solche sogenannten Entdeckungen stellen sich ja häufig als geschickte Fälschungen heraus. Das war unser letztes Gespräch.«
»Professor West«, begann Rita zögernd, als wäre ihr die Frage, die sie stellen wollte, gerade erst in den Sinn gekommen, »Sie waren gestern Abend mit Ihren Kollegen zum Essen bei Ms. Lyons. Könnte es sein, dass einer von ihnen das Pergament gesehen hat, wegen der Ermordung von Jonathan Lyons jetzt aber Angst hat, es zuzugeben?«
Albert Wests Miene wurde ausdruckslos. Er schien seine Antwort sorgfältig abzuwägen.
»Professor West«, hakte Rita nach, »wenn dieses Pergament wirklich so wertvoll ist, wie Jonathan Lyons geglaubt hat, dann muss es als schwerwiegender Gesetzesverstoß betrachtet werden, wenn es jemand unter Verschluss hält. Noch ist es nicht zu spät, sich zu stellen, bevor alles noch schlimmer wird.«
West sah sich im Büro um, als hielte er nach einem Versteck Ausschau, dann räusperte er sich nervös. »Es fällt mir sehr schwer, mit dem Finger auf einen Kollegen und Freund zu zeigen«, begann er. »Aber in diesem Fall ist es wohl notwendig. Wie Pater Aiden uns gestern Abend gesagt hat, ist das Pergament rechtmäßiges Eigentum der Vatikanischen Bibliothek, und dort sollte es in Zukunft ausgestellt werden, falls sich seine Echtheit wissenschaftlich bestätigen lässt.«
»Sie wissen, wer das Pergament hat?«, fragte Benet. »In diesem Fall wären Sie nämlich verpflichtet, uns zu helfen.«
Kopfschüttelnd sackte West auf dem Stuhl in sich zusammen. »Charles Michaelson«, sagte er schließlich. »Es könnte gut sein, dass er es hat oder jedenfalls gehabt hat.«
War das ein erster Durchbruch bei ihren Bemühungen, das Pergament aufzuspüren? Simon Benet und Rita Rodriguez ließen sich keinerlei Regung anmerken.
»Warum tippen Sie auf Professor Michaelson?«, fragte Benet.
»Lassen Sie mich ein bisschen ausholen«, erwiderte Albert West. »Vor fünfzehn Jahren hat ein wohlhaben der Sammler, der Charles regelmäßig als Gutachter beauftragt hat, ihn darum gebeten, die Echtheit eines alten Pergaments zu bescheinigen. Charles wurden vom Verkäufer fünfhunderttausend Dollar bezahlt, damit er dem Sammler die Echtheit bestätigte. In Wahrheit hatte es sich aber um eine Fälschung gehandelt.«
»Wurden Michaelson oder der Verkäufer dafür jemals rechtlich belangt?«, fragte Benet.
»Nein. Ich habe persönlich Fürsprache bei Desmond Rogers eingelegt, so hieß der Sammler. Andere Experten hatten ihn vor dem Pergament gewarnt, Rogers aber, der sich selbst für einen Kenner hielt, hatte absolutes Ver trauen in Charles. Er hat Charles und den Verkäufer nicht angezeigt, weil er der öffentlichen Bloßstellung entgehen und nicht als jemand dastehen wollte, den man übers Ohr gehauen hatte. Für Desmond Rogers ist Charles seitdem also, wie Sie sich leicht vorstellen können, nichts weiter als ein gemeiner, verachtenswerter Dieb.«
Wo führt das alles bloß hin?, fragte sich Rita Rodriguez, doch Albert West lieferte bereits die Antwort auf ihre unausgesprochene Frage.
»Heute Morgen, kurz bevor ich aufgebrochen bin, hat mich Desmond Rogers angerufen. Natürlich kennt er auch andere reiche Sammler. Einer von ihnen hat mit ihm Kontakt aufgenommen, weil ihm zu Ohren gekommen ist, dass Charles das Josef-von-Arimathäa-Pergament zum Kauf anbietet und von skrupellosen Sammlern wohl mehrere sehr
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