Mein Auge ruht auf dir - Thriller
Wind hatte den Schirm erfasst und den Tisch mit sich fortgerissen, sodass die gläserne Tischplatte in tausend Scherben zersplittert war.
Genau wie mein Leben, dachte Mariah. Vor gut einer Woche ist wieder ein Sturm über mich hinweggefegt, und jetzt darf ich die Scherben aufsammeln. Wird es ausreichen, wenn Alvirah den Detectives die Aufzeichnung vorspielt, damit Lillian und Richard wegen gemeinschaftlicher Hehlerei angeklagt werden? Oder werden sich die beiden aus der Sache irgendwie herauswinden?
Außerdem glaube ich nicht, dass aus den Unterlagen der Bank hervorgeht, was sie heute aus ihrem Schließfach genommen hat, dachte Mariah, während sie an ihrem Tee nippte.
Und was wird bei der Anhörung am Freitag mit Mom passieren? Das war die nächste Frage, die sich ihr aufdrängte. Nach den Aussagen der Krankenschwestern scheint sie sehr ruhig zu sein. O Gott, wenn man ihr nur erlauben würde, nach Hause zu kommen, dachte sie.
Als ihr bewusst wurde, wie kühl es geworden war, trug sie die leere Tasse ins Haus. Sie war kaum in der Küche, als Alvirah anrief.
»Mariah, ich habe schon versucht, Sie auf dem Handy zu erreichen, aber Sie sind nicht drangegangen. Alles in Ordnung?«, fragte sie besorgt.
»Tut mir leid. Mein Handy liegt in der Handtasche im Flur, ich habe es nicht gehört. Alvirah, haben Sie irgendwelche Neuigkeiten?«
»Ja und nein. Ich habe Detective Benet angerufen, er war sehr interessiert an Lillians Nachricht an Richard und will sie kopieren. Er ist schon unterwegs zu uns. Er war heute Nachmittag eigentlich mit Richard verabredet, aber Richard ist nicht erschienen.«
»Und was hat das zu bedeuten?«, fragte Mariah wie betäubt.
»Keine Ahnung«, erwiderte Alvirah. »Außer, dass es überhaupt nicht zu Richard passt, soweit ich ihn kenne. Es will mir irgendwie nicht in den Kopf.«
»Ja, da haben Sie recht. Es passt nicht zu ihm.« Mariah biss sich auf die Lippen, weil sie fürchtete, es könnte ihr die Stimme versagen.
»Irgendwas Neues von Kathleen?«
»Nein. Aber ich werde gleich noch mal im Krankenhaus anrufen. Obwohl man mir dort kaum etwas erzählt«, antwortete Mariah und schluckte den Kloß im Hals hinunter. »Letzte Nacht jedenfalls soll sie ganz ruhig geschlafen haben … hat man mir jedenfalls gesagt.«
»Gut. Das wäre im Moment alles. Falls ich vom Pförtner Neues erfahre, melde ich mich noch einmal.«
»Ja, bitte, ganz egal, wie spät es dann sein mag. Ich werde auch darauf achten, das Handy mitzunehmen, falls ich noch mal das Haus verlassen sollte.«
Kurz darauf klingelte es an der Tür. Es war Lisa Scott.
»Mariah, wir sind eben erst nach Hause gekommen und haben Ihren Wagen in der Einfahrt gesehen. Lloyd holt gerade beim Chinesen etwas, kommen Sie doch herüber und essen Sie mit uns«, lud sie sie ein.
»Gut, die Glückskekse spare ich mir aber lieber«, sagte Mariah mit einem verhaltenen Lächeln. »Ich komme gern. Es war nicht der beste Tag heute, aber das werde ich Ihnen nachher erklären. Ich wollte nur vorher noch im Krankenhaus anrufen und mich nach meiner Mutter erkundigen.«
»Natürlich. Und vielleicht sollten wir uns heute ausnahmsweise mal ein Glas Wein gönnen«, sagte Lisa augenzwinkernd. »Oder auch zwei.«
»Klingt gut. Bis gleich.«
Die Dämmerung zog herauf. Mariah schaltete die Außenbeleuchtung an, ging ins Arbeitszimmer und drehte auch die Lampen auf den Tischen links und rechts von der Couch auf. Sie zögerte. Nein, sie wollte nicht aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters anrufen. Sie kehrte in die Küche zurück, wählte dort die Nummer des Krankenhauses und erkundigte sich bei der Stationsschwester in der psychiatrischen Abteilung nach ihrer Mutter. Nur zögernd kam deren Antwort.
»Ihre Mutter hat einen schwierigen Nachmittag hinter sich. Wir haben ihr ein zusätzliches Beruhigungsmittel geben müssen. Aber jetzt schläft sie.«
»Was ist passiert?«, fragte Mariah.
»Ms. Lyons, Sie wissen, dass auf Anordnung des Richters ein Gutachten über Ihre Mutter erstellt wird und ich daher nicht viel sagen darf. Sie war sehr aufgewühlt, aber ich kann Ihnen versichern, dass sie jetzt ruhig ist.«
Mariah bemühte sich gar nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Wie Sie sicherlich verstehen, bin ich krank vor Sorge um meine Mutter. Können Sie mir nicht etwas mehr erzählen?«
»Ms. Lyons, laut Anordnung des Richters muss das Gutachten bis Donnerstagnachmittag um zwei Uhr an sein Büro gefaxt sein. Also morgen. Meines Wissens ist es üblich, dass die
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