Mein Auge ruht auf dir - Thriller
Anwälte eine Kopie erhalten. Das Verhalten Ihrer Mutter und die Schlussfolgerungen der Ärzte werden darin detailliert aufgeführt sein.«
Mariah wusste, dass ihr wohl nichts anderes übrig blieb, als sich zu fügen. Na, vielen Dank dann, dachte sie, als sie sich höflich von der Schwester verabschiedete und auflegte.
Eine halbe Stunde später erzählte sie Lloyd und Lisa bei einer Wonton-Suppe alles, was sich an dem Tag ereignet hatte. »Mir ist, als wäre es eine ganze Woche her, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben«, sagte sie zu Lloyd. »Es spricht einiges dafür, dass Lillian heute Morgen auf ihrer Bank das Pergament abgeholt hat, um es Richard zu übergeben. Wenn das wirklich der Fall ist und wir beweisen können, dass die beiden es ge stohlen haben, dann kann man sie doch anzeigen, oder?«
»Aber sicher, und wenn wir es beweisen können, dann werden wir das auch tun«, erwiderte Lloyd resolut. »Jonathan hat Lillian das Pergament anscheinend zur Aufbewahrung überlassen, und Richard hat das entweder gewusst oder es sich irgendwie zusammengereimt. Was ich im Moment noch nicht verstehe, ist die Rolle von Rory. Wie passt sie ins Bild? Das könnte natürlich ganz einfach sein. Vielleicht hat sie gewusst, dass die Polizei alle überprüfen wird, weshalb sie kurzerhand geflüchtet ist, nachdem sie vor Jahren gegen ihre Bewährungsauflagen verstoßen hat.«
»Andererseits könnte sie natürlich auch auf die eine oder andere Art darin verwickelt sein«, spekulierte Mariah. »Wenn jemand dazu fähig war und die Gelegenheit dazu gehabt hatte, die Tat meiner Mutter in die Schuhe zu schieben, dann Rory.«
Lisa, die bislang schweigend zugehört hatte, meldete sich nun zu Wort: »Mariah, falls sich Ihr Vater und Lillian getrennt haben, wäre es doch vorstellbar, dass Lillian Ihren Vater loswerden wollte, damit sie das Pergament für sich behalten konnte. Ist Ihnen jemals aufgefallen, dass Lillian und Rory heimlich miteinander getuschelt haben?«
»Nicht dass ich wüsste. Aber Rory war noch kein halbes Jahr bei uns, als die Fotos aus Venedig aufgetaucht sind. Danach war Lillian nie mehr im Haus. Natürlich wissen wir nicht, ob Lillian und Rory telefonisch Kontakt gehabt haben.«
»Rory ist vor achtundvierzig Stunden verschwunden, seitdem hat sie keiner mehr gesehen«, sagte Lloyd nachdenklich. »Und jetzt sagen Sie, dass Lillian heute Morgen kurz vor neun ihre Wohnung verlassen hat und bis vor Kurzem, als Sie mit Alvirah gesprochen haben, nicht wieder aufgetaucht ist.«
»Ja, richtig«, bestätigte Mariah. »Ich nehme an, Richard und sie feiern irgendwo gemeinsam.«
»Sie haben gesagt, Richard sei nicht zu seinem Termin im Büro des Staatsanwalts erschienen. Das passt für mich aber nicht zusammen. Wenn, dann sollte man doch meinen, dass er dort auftauchen und sich kooperativ zeigen würde, um nicht den geringsten Verdacht zu erregen.«
»Lloyd, ich habe Ihnen erzählt, dass ich mit der Schwester im Krankenhaus gesprochen habe und sie gesagt hat, das psychiatrische Gutachten werde morgen um zwei an den Richter gehen, und die Anwälte erhielten eine Kopie davon. Was ich Sie bislang nicht gefragt habe: Wann werden Sie das Gutachten haben?«
»Ich gehe davon aus, dass der Staatsanwalt und ich noch morgen im Lauf des Nachmittags das Gutachten bekommen. Wir können es also am Abend durchgehen.«
»Können Sie es mich dann später lesen lassen?«
»Natürlich, Mariah. Aber jetzt nehmen Sie doch um Gottes willen etwas von diesem Sesam-Hühnchen. Ihre Suppe haben Sie ja kaum angerührt.«
Mit einem entschuldigenden Lächeln wollte Mariah zum Teller greifen, als ihr Handy klingelte. Sie zog es aus der Tasche und murmelte: »Hoffentlich ist es Alvirah.« Aber dann sah sie, wer anrief, und sie sagte: »Ist es zu glauben? Richard! Nein, ich gehe nicht ran. Mal sehen, ob er eine Nachricht draufspricht und welche Lügen er sich diesmal einfallen lässt.«
Schweigend warteten die drei, bis sich das Handy erneut meldete und anzeigte, dass eine neue Nachricht auf der Mailbox eingegangen war. Mariah rief sie ab: »Mariah, es tut mir ja so leid, ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht. Bitte ruf mich an.«
»Vielleicht sollten Sie wirklich zurückrufen«, begann Lloyd und verstummte abrupt.
Mariah hatte das Gesicht in den Händen vergraben, ihre Schultern bebten, während sie in ein herzzerreißendes Schluchzen ausbrach.
»Ich kann nicht mit ihm reden«, flüsterte sie. »Ich kann einfach nicht.«
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