Mein Auge ruht auf dir - Thriller
Pater Aiden am Mittwochabend um zwanzig Uhr die Tür des Klosters an der Kirche des heiligen Franziskus von Assisi öffnete, stand Richard Callahan vor ihm. »Schön, dass Sie mich so kurzfristig empfangen können«, sagte Richard, als der Pater ihn hereinbat.
Pater Aiden musterte die besorgte Miene seines Besuchers, der statt seiner üblichen schwarzen Hose und dem weißen Hemd eine beige Freizeithose und ein blaues Sporthemd trug. Ein leichter Schatten auf seinen Wangen wies darauf hin, dass er sich seit geraumer Zeit nicht rasiert hatte. Und Richards Hand war feucht, wie Pater Aiden spürte, als er sie zur Begrüßung ergriff.
Irgendetwas stimmte nicht. »Meine Tür steht Ihnen jederzeit offen, Richard«, sagte er. »Die anderen Mönche sitzen beim Kaffee. Gehen wir doch ins Wohnzimmer. Dort sind wir ungestört.«
Richard nickte, ohne etwas zu sagen. Pater Aiden spürte, dass Richard um Fassung rang. »Richard, ich weiß, Sie trinken gern Kaffee«, sagte er. »Ich bin mir sicher, dass im Speisesaal noch etwas übrig ist. Ich hole Ihnen eine Tasse und genehmige mir auch noch eine zweite. Schwarz und ohne Zucker, wie wir beide ihn mögen, nicht wahr?«
»Klingt gut.«
An der Tür zum bescheidenen Wohnzimmer wies Aiden ihn an, einzutreten. »Ich bin gleich wieder da«, sagte er. Als er zurückkehrte, stellte er die Tassen auf den Beistelltisch und schloss die Tür. Richard saß auf der Couch, hatte die Ellbogen auf den Knien aufgestützt und die Hände verschränkt. Wortlos griff er zur Tasse. Seine Hände zitterten. Pater Aiden ließ sich ihm gegenüber im Ohrensessel nieder. »Wie kann ich Ihnen helfen, Richard?«, fragte er.
»Pater, ich habe einen schrecklichen Fehler begangen.« Daraufhin erzählte Richard, dass er immer davon überzeugt gewesen sei, dass Jonathan Lillian das Pergament gegeben habe. Und dann, gestand er, habe er sie angelogen. »Pater, ich habe ihr erzählt, Jonathan habe es mir gezeigt und mir gesagt, er werde es ihr zur Aufbewahrung geben. Ich hatte doch keine andere Möglichkeit, um zu beweisen, dass sie es tatsächlich hat. Und ich wollte es doch unbedingt zurückbekommen«, erklärte Richard. »Sie hat mir geglaubt. Sie hat mir sogar erzählt, sie sei todunglücklich gewesen, als Jon sie so unvermittelt hat fallen lassen. Angeblich hat Jon sie gebeten, ihm das Pergament zurückzugeben, da hatte sie es aber schon in ihrem Schließfach. Und sie will ihm daraufhin gesagt haben, dass er eine Woche warten soll, bis sie es ihm geben würde, damit er in der Zeit noch darüber nachdenken kann, ob er ihre Beziehung wirklich beenden will.«
Pater Aiden nickte nur wortlos. Er musste an den Spätnachmittag denken, an dem Jonathan bei ihm erschienen war und ihm gesagt hatte, dass er die Entfremdung von Mariah nicht mehr ertragen und es nicht mehr mit ansehen könne, wie Kathleen unter seiner Beziehung zu Lillian leide. Deshalb wolle er unverzüglich zu Lillian fahren und ihr seine Entscheidung mitteilen.
Traurig erinnerte sich Aiden O’Brien an Jonathans Plan, mit Kathleen nach Venedig zu reisen und Mariah zu bitten, sie zu begleiten. Und mit einiger Verblüffung hatte er an diesem Nachmittag Jon ebenfalls sagen hören, dass er das seltsame Gefühl habe, nicht mehr lange zu leben. Deshalb habe er auch das Bedürfnis verspürt, den Schaden, den er durch seine Affäre über die Familie gebracht hatte, wiedergutzumachen.
»Ich habe das Pergament nie gesehen, und Jonathan hat mir auch nie gesagt, dass er es Lillian gegeben hat«, wiederholte Richard und zögerte dann, als wäre ihm das alles entsetzlich peinlich. »Aber Lillian hat mir geglaubt.«
»Wann haben Sie ihr das erzählt?«, fragte Pater Aiden.
»Lassen Sie es mich erklären. Nach der Beerdigung habe ich auf dem Friedhof gewartet, während die anderen schon zum Essen vorausgefahren sind. Ich hatte so ein Gefühl, dass Lillian auftauchen könnte, und ich habe mich nicht getäuscht. Sie war an Jonathans Grab und ging dann zurück zu ihrem Wagen. Ich folgte ihr und fragte sie, ob sie das Pergament gesehen habe, und als sie verneinte, wusste ich, dass sie log. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie es hatte, und ich hatte Angst, sie könnte es jetzt nach Jonathans Tod verkaufen. Aber das alles konnte ich natürlich nicht beweisen.«
Richard nahm einen langen Schluck von seinem Kaffee. »Pater Aiden, wir wissen beide, dass das Pergament in die Vatikanische Bibliothek gehört. Daher habe ich beschlossen, es anders zu versuchen. Ich habe sie
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