Mein Auge ruht auf dir - Thriller
Hawkins arbeitete seit dreißig Jahren für die Staatsanwaltschaft. Im Beisein von Fremden sprach sie die Staatsanwälte Sylvan Berger und Peter Jones natürlich mit »Sir« an, ansonsten aber, wenn sie unter sich waren, nannte sie den Generalstaatsanwalt nur »Sy« und seinen Stellvertreter »Peter«.
Mit einiger Beklemmung schlug Peter Jones das psychiatrische Gutachten auf. Und alle Last, die auf seinen Schultern gelegen hatte, fiel von ihm ab.
Der Arzt hatte geschrieben, dass Kathleen Lyons in fortgeschrittenem Stadium an Alzheimer leide und im Krankenhaus bei zwei Gelegenheiten gewalttätige Neigungen hatte erkennen lassen. Sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand habe sie beträchtliche Aggressionen gegenüber ihrem verstorbenen Ehemann sowie seiner Geliebten Lillian Stewart gezeigt. Daher spreche man sich dafür aus, die Patientin unter intensive und umfassende Aufsicht zu stellen, da sie aufgrund ihrer geistigen Zerrüttung zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Gefahr für sich und ihre Umgebung darstelle. Auf Anraten der Ärzteschaft sollte sie zur weiteren Beobachtung, Medikation und Therapie in der Klinik verbleiben.
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung lehnte sich Jones zurück. Nie und nimmer konnte der Richter sie freilassen, dachte er. Nicht bei diesem Gutachten. Klar, wir werden die Farce mit Wally Gruber und dem Phantombildzeichner bis zum Ende durchziehen müssen. Da bleibt uns nichts anderes übrig. Gruber weiß eben, wie er die Sache angehen muss. Ich bin schon gespannt, welches Gesicht er sich ausdenkt. Aber egal, ob Tom Cruise oder Micky Maus, es wird sowieso zu nichts führen.
Er erhob sich und streckte sich. Kathleen Lyons hat ihren Mann umgebracht, dachte er. Davon bin ich jetzt überzeugt. Falls sich herausstellen sollte, dass sie nicht verhandlungsfähig ist, nun gut. Und falls sie, weil sie nicht zurechnungsfähig ist, für nicht schuldig befunden wird, dann soll es eben so sein. Aber so oder so, sie wird die Psychiatrie nicht mehr verlassen.
Er schaltete die Gegensprechanlage ein. »Ich bin wieder zu sprechen, Gladys.«
»Das war aber ein kurzes Nachdenken, Peter. Einen Moment. Ich habe hier einen Anruf. Von Simon Benet. Soll ich ihn durchstellen?«
»Stellen Sie durch.«
»Peter, ich bin gerade von den Jungs aus New York angerufen worden«, kam Benet sofort zur Sache. »Grubers Hehler ist verhaftet worden. Sie haben ihn in seinem Laden aufgegriffen. Eine Minute später, und er wäre auf dem Weg zum Flughafen gewesen. Scotts Schmuck ist bei ihm gefunden worden. Sämtliche Stücke.«
66
D onnerstagnachmittag um ein Uhr traf Mariah im Haus ihrer Eltern ein und ging sofort in die Küche, wo ein Zettel von Betty auf dem Tisch lag: Ich war kurz da und habe eine kalte Platte dagelassen, falls Sie doch noch kommen und eine Kleinigkeit essen wollen. Habe schnell sauber gemacht, fühle mich aber nicht besonders wohl und gehe jetzt – 8.20 Uhr.
Das Telefon in der Küche blinkte und zeigte an, dass mehrere Nachrichten eingegangen waren. Mariah drückte auf den Knopf, um die gespeicherten Nachrichten abzurufen, und gab den Code ein. Um sich leicht daran erinnern zu können, hatten ihre Eltern dafür ihren Geburtstag genommen. »Das glücklichste Ereignis in unserem Leben«, hatte ihr Vater einmal gesagt.
Richard hatte nicht nur versucht, sie auf dem Handy zu erreichen, sondern hatte diesen Morgen um neun Uhr fünfzehn auch hier angerufen. »Mariah, bitte, wir müssen miteinander reden.« Sofort löschte sie die Nachricht; sie wollte noch nicht einmal seine Stimme hören.
Wie Greg ihr schon gesagt hatte, hatte er zweimal auf dieser Nummer angerufen. »Mariah, du gehst nicht an dein Handy. Ich mache mir Sorgen. Ruf doch bitte zurück.«
Dazu kamen Alvirahs drei Anrufe, die sie getätigt hatte, bevor Mariah sie von ihrer eigenen Wohnung aus angerufen hatte. Die ersten beiden handelten von ihrem Versuch, Lillian aufzuspüren, der letzte, dass sie sich Sorgen machte, weil Mariah nicht zurückrief.
Mariah stellte sich aus der von Betty gebrachten kalten Platte ein Truthahn-Käse-Sandwich zusammen, nahm sich eine Flasche Wasser und ging damit ins Ar beitszimmer ihres Vaters. Das, dachte sie, war Dads Lieb lingssandwich, und dann wurde ihr klar, dass sie immer seine Nähe spürte, egal was sie tat oder wo sie war.
Sie aß das Sandwich und merkte, wie ihr die Augen schwer wurden. Kein Wunder, ich bin früh aufgestanden und habe in letzter Zeit auch sonst nicht viel geschlafen. Sie lehnte
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