Mein bestes Stuck
immer an die Leitplanke gelehnt dastand. »Setz dich«, befahl sie, »dort ins Gras.«
Luc gehorchte, zog jedoch eine Augenbraue hoch und sah sie an, als vermutete er, ihr Hirn habe bei dem Sturz doch mehr gelitten als vermutet.
»Ich werde dein Knie jetzt damit stabilisieren. Halt still.«
Julia hatte nie einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht, war aber in dunkler Vergangenheit mal Pfadfinderin gewesen. Genau genommen war sie die engagierteste und eifrigste Pfadfinderin ihres Stammes gewesen, seit ihrer Schwester Kathy zehn Jahre vor ihr.
Sie kniete sich vor Luc hin und nahm ihr pinkfarbenes Halstuch ab. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie sich Luc und der Fahrer erstaunte Blicke zuwarfen, wie letzterer amüsiert die Augenbraue hochzog und wie Luc versuchte, sich ein Lächeln zu verkneifen.
Das entschlossene Gesicht ihrer Pfadfinderführerin Kirsty Macleod – eine großartige, einfühlsame Frau – erschien
vor Julias innerem Auge, während sie Lucs Knie verarztete. Sie konnte sie förmlich hören. Pass auf, dass du niemandem wehtust! Halt das Gelenk still! Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, hol Hilfe … Tja, genau da lag das Problem. Na ja, sie würde einfach so tun müssen, als wüsste sie, was zu tun war.
Vorsichtig wickelte sie die Gummistriemen um Lucs Knie, das mittlerweile rot geschwollen war. Dann wand sie ihren pinkfarbenen Schal um die Bänder, so dass die Kniescheibe vollständig stabilisiert wurde. Auch wenn sie so behutsam vorging, wie sie nur konnte, bemerkte sie doch, wie Luc mit aller Kraft versuchte, seine Schmerzen zu unterdrücken. Schließlich noch ein Kreuzknoten – oder war es ein Altweiberknoten? Die Vision der hilfsbereiten Kirsty Macleod war inzwischen verschwunden. Julia setzte sich auf und betrachtete ihr Werk.
»Fertig!« Ängstlich biss sie sich auf die Unterlippe, als sie Luc ansah. »Wie fühlt sich das an?«
Er schien beeindruckt, was Julia zumindest ein kleines bisschen Genugtuung verschaffte.
»Sieht auf jeden Fall sehr gut aus«, sagte er. »Mal sehen, ob deine Konstruktion hält, was sie verspricht.«
Mit Julia als Stütze auf der einen und dem Lastwagenfahrer auf der anderen Seite schaffte Luc es, sich wieder hinzustellen. Als seine beiden Helfer ihn losließen, gelangen ihm sogar ein paar Schritte aus eigener Kraft. Der Lastwagenfahrer streckte Julia zwei enthusiastisch erhobene Daumen entgegen.
Nach ein paar weiteren Schritten drehte Luc sich zu Julia um. »Danke dir!«
»Viel Glück Ihnen beiden!«, rief der Fahrer, der sich inzwischen wieder in seinen Wagen gesetzt hatte, um weiter nach Nizza zu fahren. »Lassen Sie das Knie untersuchen, ja?«
»Natürlich!«, rief ihm Luc zu, während Julia dem Fahrer zum Abschied zuwinkte.
»Na, dann wollen wir mal!« Luc humpelte zurück zur Vespa.
»Hör mal, Luc, lass mich fahren! Du bist nicht fit genug, und ich habe so ein Ding schon öfter gefahren. Na ja, einmal, um genau zu sein, aber ich bin sicher, das ist wie … wie …«
»Wie Fahrrad fahren?«
»Genau! Wie Fahrrad fahren!«
»Und bist du auch schon mit Beifahrer gefahren?«
Julia musste zugeben, dass sie diese Erfahrung noch nicht gemacht hatte.
»Das ist etwas völlig anderes, glaub mir!«, sagte er. »Das zusätzliche Gewicht macht wirklich viel aus – in null Komma nichts fliegen wir wieder über den Lenker!«
»Ach, so ein Quatsch!«
»Nein, ganz ehrlich! Diese Gefahr besteht bei jedem, der nicht häufig fährt.«
Julia wollte nur ungern auf die kleine Öllache hinweisen, die sich dort ausgebreitet hatte, wo die Vespa stand. Luc inspizierte die Maschine. Abgesehen von ein paar Kratzern und dem kaputten Spiegel schien das Gefährt in Ordnung zu sein. Mit etwas Mühe schwang sich Luc auf den Sattel und versuchte, den Motor zu starten.
Doch die Vespa schien nicht in der Stimmung, ihren
Dienst wieder anzutreten. Sie keuchte ein einziges Mal auf, erstarb dann aber komplett. Alle weiteren Versuche brachten nur kleine schwarze Rauchwölkchen zum Vorschein und leise rasselnde Geräusche irgendwo aus dem Inneren der Maschine.
Schließlich blieb Luc nichts anderes übrig als aufzugeben. Julia half ihm beim Absteigen.
»Tot«, stellte er fest. »Meinst du, heute könnte uns noch irgendetwas anderes Schlimmes passieren?«
»Dein Bein könnte abfallen«, murmelte Julia.
Zusammen schoben sie den Roller hinter einen Busch am Straßenrand. Julia fragte sich langsam, ob sie in Wahrheit in irgendeinem merkwürdigen Alptraum gefangen war, hervorgerufen
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