Mein bestes Stuck
stiegen sie eine Treppe hinunter zum Flur, der zu den Hauptschlafzimmern führte. Der Korridor war sanft beleuchtet und
ein bisschen opulenter ausgestattet als das Dachgeschoss, das sie soeben verlassen hatten – auch heimeliger, fand Julia. Eleonores Schlafzimmer lag ebenso auf dieser Etage, doch sie lief an der Tür vorbei, bis zum Ende des Flurs. Eleonore hielt inne. Ihre Hand lag bereits auf dem polierten Türknauf aus Ebenholz. Sie drehte sich um und sah Julia an.
»Niemand außer Papa, Luc, Marie-Luise und mir waren jemals hier drin, seit meine Mutter gestorben ist. Aber ich möchte, dass du es siehst.«
Sie öffnete die Tür und spürte sofort schmerzlich die Aura ihrer Mutter. Als sie das Licht anschaltete, hörte sie, wie Julia nach Luft schnappte.
»Das ist … das war das Ankleidezimmer meiner Mutter. Keiner von uns hat es jemals übers Herz gebracht, hier etwas zu verändern, seit sie … seit sie nicht mehr da ist.«
Eleonore trat mit stolzem Gesichtsausdruck zur Seite, als Julia wie in Trance weiter in den Raum mit seinen dicken Teppichen und beleuchteten Spiegeln hineinging. Mutter ist noch hier. Irgendwie. Oh, ich bin so froh, dass Papa die Sachen nie weggegeben hat, dachte Eleonore.
Sie sah zu, wie Julia all die aufgetürmten, unendlich teuren Schuh- und Hutschachteln ignorierte und direkt auf die andere Seite des Zimmers zusteuerte. Und dort, in der mit Glasregalen ausgestatteten Nische standen sie, aufgereiht wie die Soldaten: Handtaschen.
Die eindrucksvolle Sammlung ihrer geliebten Mutter. Eleonore biss sich auf die Lippe.
»Eleonore«, hauchte Julia. »Die sind ja … unglaublich … Wow!« Sie drehte sich um und schaute Eleonore an. Ihr
Gesicht leuchtete vor Überraschung und Glück, doch es schien auch eine Spur Schuldgefühl in ihrem Blick zu liegen. »Vielen Dank, dass ich das hier sehen darf.«
»Du kannst sie ruhig in die Hand nehmen,« sagte Eleonore lächelnd. »Es ist ziemlich gute Qualität.«
»Ich darf sie anfassen?« Julias Hand griff sogleich nach dem Sahnestück der Sammlung. »Aber das ist ein original Hermès-Sac à Depeches! So eine habe ich bisher nur auf Bildern gesehen!«
Eleonore runzelte die Stirn. »Also, ich wusste das, und meine Mutter auch. Aber wie um alles in der Welt hast du das erkannt? Die meisten Leute würden die Tasche für eine Kelly Bag halten.«
Julia verzog das Gesicht. »Nein! Viel zu früh! Das hier ist ein Original. Schau dir doch nur die Verarbeitung an.« Ihre Finger wanderten zu dem Modell, das neben dem edlen Stück ruhte. »Eine Birkin – eine der hübscheren Modelle. Ich habe noch nicht viele der frühen Modelle gesehen. Zumindest nicht in diesem hellen Crème – und die hier!« Julia griff nach einer großen, schwarzen, aufwendig bestickten Schultertasche und streichelte sie sanft. »Balenciaga, aus der ersten Kollektion. 1963, schätze ich.«
»Wirklich? So früh?«
»Oh ja, auf jeden Fall. Fühl mal, wie schwer das Material ist!« Sie drückte Eleonore die Tasche in die Hand. »Kein anderer Designer hat damals so gearbeitet. Balenciaga-Taschen waren echte Wegbereiter. All die Stickereien, die großflächigen Details – sie haben völlig mit der damaligen Form gebrochen. Deine Mutter muss modisch ziemlich up to date gewesen sein, um sich damals so eine zuzulegen.«
»Eigentlich war die Tasche ein Überraschungsgeschenk meines Vaters«, sagte Eleonore und presste die Balenciaga fest an sich. »Mutter hat mir erzählt, dass er sie sogar selbst ausgesucht hatte.«
»Dann muss er sehr guten Geschmack gehabt … Oh, entschuldige! Wie taktlos von mir …«
»Ist schon in Ordnung«, versicherte Eleonore. »Wirklich!«
Um unauffällig die Tränen, die ihr in die Augen geschossen waren, wegzublinzeln, stellte Eleonore die Balenciaga-Tasche zurück ins Regal und nahm eine andere in die Hand.
»Auch die hier hat Papa ihr gekauft, ganz zu Anfang ihrer Beziehung. Meine Mutter hat einmal gesagt, dass sie nach diesem Geschenk wusste, dass Papa der Mann ihres Lebens ist … Er sagte ihr, die Farbe des Leders sei ein Blau, das am ehesten ihren Augen entsprach, und er hätte die Tasche einfach kaufen müssen, weil er es nicht bis zu ihrer nächsten Verabredung aushalten konnte, nicht an ihre Augen erinnert zu werden.«
»Das ist wirklich wunderschön!«, flüsterte Julia. »Kein Wunder, dass deine Mutter sich in ihn verliebt hat.«
»Ja, da magst du wohl Recht haben …« Eleonores Stimme verebbte. Es war neu für sie, sich ihren Vater als
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