Mein bestes Stuck
mein Dad ist auch ganz cool. Vor einiger Zeit hat er sich entschieden, einen Tag in der Woche weniger zu arbeiten und sich stattdessen ehrenamtlich für einen Verein zu engagieren, der Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen rechtliche Hilfe anbietet.«
»Das ist eine gute Sache.«
Julia nickte. »Ich weiß. Manchmal vertritt er sogar Leute vor Gericht, ohne dafür ein Honorar zu verlangen, nur damit Menschen eine Chance bekommen, die sonst durch das soziale Netz gefallen wären. Wir sind alle sehr stolz auf ihn …«
»Das sehe ich.«
»Einmal, als ich zehn oder elf Jahre alt war, hat meine Mutter mich mit zum Gericht in Edinburgh genommen, damit wir zusehen konnten, wie mein Vater einen Mann, der wegen Raubes angeklagt war, zu verteidigen. Ich habe nur einen Blick auf den Angeklagten geworfen und meine Mutter sofort gefragt, warum um alles in der Welt mein Vater sich für diesen Typen einsetzte.«
»Hatte er eine Augenklappe und keine Zähne mehr?«, Lucs Stimme klang unschuldig, doch seine Augen blitzten schelmisch.
Julia drehte sich zu ihm und setzte einen hochmütigen Gesichtsausdruck auf. »Er hatte tatsächlich keine Zähne.« Dann grinste sie und knuffte ihn in die Seite. »Ich mache nur Witze. Er hatte noch ein paar Zähne, einen Ohrring
und ein sehr unfeines Tattoo im Nacken. Außerdem konnte ich kaum ein Wort von dem verstehen, was er sagte, weil er einen so starken Akzent hatte. Mein erster Impuls war jedenfalls, dass diesem Typen wohl kaum zu trauen sei. Also lehnte ich mich zu Mum rüber und machte irgendeinen dummen, herablassenden Kommentar … und sie hätte mir fast den Kopf abgerissen.«
»Deine Mutter gefällt mir mehr und mehr.«
»Sie hat mich sofort vor die Tür gezerrt und mir eine Gardinenpredigt gehalten. Sie erzählte mir, dass der Richter dem Mann, den Dad zuletzt verteidigt hatte, gesagt hat, er solle nach Hause gehen und sich etwas Ordentliches anziehen. Der hat dann unter Tränen geantwortet, dass er keine andere Kleidung habe. Und weißt du was?«
»Ich bin ganz Ohr!«
»Er war gerade mal siebzehn! Siebzehn Jahre alt! Wo war die liebevolle Unterstützung, die ihm ganz selbstverständlich hätte zustehen müssen? Nirgendwo! Aber er hatte ja einen Menschen wie meinen Vater, der sich für ihn einsetzte, um Gerechtigkeit kämpfte, egal welche Kleidung er trug!«
»Also …«
Doch Julia war nun nicht mehr zu bremsen. »Also sind wir zurück in den Saal gegangen, und meine Mutter hat mir befohlen, den Mund zu halten und zuzuhören. Das tat ich dann auch. Und es war unglaublich. Der arme Kerl war von einer Bande Ganoven, die seine Familie bedroht hatten, übel zugerichtet geworden. Es war einfach schrecklich, und ich werde das nie vergessen. Aber ich werde auch nie vergessen, wie mein Vater langsam, aber sicher jedes
Detail der Geschichte aus ihm und den anderen Zeugen herauskitzelte, und wie er gleichzeitig ganz subtil mit den Anwälten der Staatsanwaltschaft umging. Er sprach von ›verständlichen Irrtümern in der Beweisaufnahme‹, und es gelang ihm, ohne die Autorität der Staatsanwälte zu untergraben, jede einzelne Anschuldigung zu entkräften, die sie ihm entgegen schleuderten. Es war einfach fantastisch.«
»Und hat dein Vater den Fall gewonnen?«
Julia nickte. »In dem Moment, als die Geschworenen das Urteil ›nicht schuldig‹ verkündeten, sprang der gesamte Gerichtssaal auf. Der Mann warf sich weinend in die Arme seiner Angehörigen, stürzte auf meinen Vater zu und schüttelte ihm unablässig die Hand …«
Die Erinnerung an diesen Tag hatte Julia Tränen in die Augen getrieben, die nun langsam ihre Wangen hinunterkullerten. Luc legte ihr den Arm um die Schulter und drückte sie leicht an sich.
Sie lächelte ihn dankbar an. »Weißt du, was daran für mich so wichtig war zu verstehen?«
»Was?«
»Er hat all seine Klienten gleich behandelt. Wirklich alle, egal ob den Typen ohne Zähne oder den Vorstandsvorsitzenden des größten Ölkonzerns der Welt. Er hat sein Engagement nie benutzt, um sich zu profilieren, das habe ich gesehen, Luc. Bis spät in die Nacht hat er an den Fällen gearbeitet und für jeden einzelnen hundert Prozent Einsatz gegeben. Es war keine Profilierung. Er hat einfach geglaubt, dass es richtig ist.«
»Kein Wunder, dass du so stolz auf ihn bist«, sagte Luc.
Sie rückte ein winziges Stück von ihm weg, und er nahm vorsichtig seinen Arm von ihren Schultern. Als sie merkte, wie es ihren Körper wegen dieser kurzen Berührung
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