Mein bestes Stuck
gehen, war überwältigend, und doch auch beängstigend. Sie biss sich auf die Lippe. Bildete sie es sich nur ein, oder war es warm hier drin? Ein ausgesprochenes Kribbeln machte sich in ihr breit. Sie sollte es einfach tun. Los. Geh schon, geh hin, und tröste ihn, sagte sie sich.
Julia atmete langsam aus. Luc hatte sie immer noch nicht bemerkt. Völlig regungslos saß er da. Er war so schön in seiner Trauer.
Was tue ich hier eigentlich? Gib’s schon zu, du willst zu ihm rübergehen und ihn küssen, stimmt’s?
Es war wirklich zu komisch; sie stand hier, ironischerweise bei Luc, und ihre Gedanken schienen ihr unangebracht, während sie zuvor um Lorenzo gekreist waren, der Eleonore nachgelaufen war. Irgendetwas lag in der Luft. Etwas Unheilvolles.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und wollte gerade gehen. Immerhin musste sie ihren Verlobten finden …
»Julia.« Luc hatte sie bemerkt. Er hatte den Kopf umgewandt und sah ihr geradewegs in die Augen. Sein Blick war voller Emotionen.
»Es tut mir leid, Luc, ich wollte nur …« Doch sie brachte es nicht über sich, seinen Namen auszusprechen. Sie konnte doch nicht einfach nicht sagen: Ich wollte nur Lorenzo suchen, den Mann, den ich am Samstag heiraten werde.
Er stand auf und ging auf sie zu. Dann ließ er eine Hand in seine Hosentasche gleiten und holte eine kleine, blaue Lederschachtel hervor.
»Die ist für dich.«
Julia fühlte sich schwindlig. Sie schauten sich tief in die Augen, und Julia war hin- und hergerissen, zwischen dem Verlangen, einfach wegzurennen oder sich ihm in die Arme zu werfen und ihn leidenschaftlich zu küssen.
»Die Ringe?«, fragte sie flüsternd und senkte den Blick.
»Ja, die Ringe. Sie sind vorhin per Kurier gekommen.«
»Danke.«
Er hielt ihr die Schachtel hin. Mit zitternden Händen nahm sie sie entgegen, wobei sich ihre Finger kurz berührten und dies Julia einen minimalen elektrischen Schlag versetzte. Sie erschauderte am ganzen Körper.
»Das alles hätte nie passieren dürfen«, sagte er. »Das mit den Ringen, meine ich. Es tut mir wirklich leid.«
»Das muss es nicht«, erwiderte Julia und fühlte sich ein wenig lächerlich in ihrer Schüchternheit. »Danke, dass du sie wieder ausgelöst hast.«
Luc schien nun ebenso nervös zu sein wie sie. Julia trat ein paar Schritte zurück, wobei sie sich bemühte, nicht gegen eine der Kirchenbänke zu poltern. »Ich lasse dich jetzt in Ruhe … Ich hätte gar nicht hierherkommen sollen!«
Luc sagte nichts.
»Es tut mir so leid«, fuhr Julia fort, »dass du dich die letzten Tage über damit beschäftigen musstest, wo du doch eigentlich ganz andere Probleme …« Sie brach ab und zuckte verlegen mit den Schultern.
Luc lächelte schwach. »Ist schon in Ordnung. Ich habe ja noch mein ganzes Leben Zeit, um um meinen Vater zu trauern.«
»Wird es nicht schwierig für dich sein, hier zu leben? Mit all den Erinnerungen?«
»Oder vielleicht auch leichter?« Er schien froh zu sein, mit jemandem reden zu können. »Ich habe mir tatsächlich schon Gedanken darüber gemacht. Aber mein Vater wäre glücklich, wenn er wüsste, dass ich hierbleibe und sein Lebenswerk fortführe. Das Weingut zu verkaufen würde mir noch viel schwerer fallen, soviel weiß ich inzwischen.«
»Ist für die Beerdigung am Samstag alles bereit?«, fragte Julia. Es fühlte sich seltsam an, zu wissen, dass sie nicht dabei sein würde.
Er nickte. »Ich denke schon.«
»Gut.«
Das Schweigen zwischen ihnen wirkte nun längst nicht mehr so bedrückend wie noch einige Minuten zuvor. Luc fuhr mit der Hand über die Rückenlehne der vorderen Holzbank. Julia nahm an, dass dies am Samstag sein Platz sein würde.
Doch was passierte nach diesem Tag? Julia versuchte sich vorzustellen, wie Luc am Sonntagmorgen, und am Morgen danach und an dem darauf, aufwachte und pflichtbewusst den Wünschen seines Vaters nachkam. Es schien das Richtige zu sein, und trotzdem war da ein Haken. Wo würde der wahre Luc Deschanel bei all dem bleiben? Und was würde aus Luc Desch werden?
»Luc, ich habe über etwas nachgedacht.«
»Ja, worüber denn? Komm mit, wir gehen ein bisschen spazieren.«
Zusammen verließen sie die kleine Kapelle und traten in den vom Regen noch nassen Garten. Es schien das Natürlichste von der Welt zu sein. Das strahlende Nachmittagslicht tauchte das Château in einen weichen, glitzernden
Schimmer. Die Luft war klar und dennoch voll von den Düften des Gartens.
»Ich bin nur ein Gast hier, Luc, ein ungebetener
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