Mein bis in den Tod
seine Grundsätze wegen Geld opfert? Oder ein Vater, der es riskiert, wegen seiner Prinzipien erneut im Gefängnis zu landen?
Hugh Caven hatte jede Sekunde seiner Haftstrafe gehasst. In den ersten paar Tagen hatte es zwar einen Neuigkeitsfaktor gegeben, aber abgesehen davon hatte er alles dort verabscheut: den Geruch, die Korruption der Wächter, die einem Drogen verkaufen wollten und einem das Leben extra schwer machten, wenn man das Zeugs nicht kaufen wollte, den Verlust der Privatsphäre.
Vor allem aber konnte er die anderen Häftlinge nicht ausstehen. Man traf im Gefängnis nicht die Sieger des Lebens, sondern die Verlierer, und war ständig in ihrer unmittelbaren Nähe. Verlierer wie er selbst, die Mist gebaut hatten und wahrscheinlich dazu verdammt waren, weiterhin Mist zu bauen.
Und nun bot sich ihm die einmalige Gelegenheit, erneut Mist zu bauen. Wenn er zur Polizei ging, würde Ross Ransome dahinterkommen, und er würde keinen Penny von ihm bekommen, sondern um sechs Riesen ärmer sein. Sechs Riesen, ein Verlust, den er sich nicht leisten konnte. Andererseits – wenn sich Ross Ransome erst einmal beruhigt und alles durchdacht hatte, würde er vielleicht sehr viel mehr als sechs Riesen zahlen, falls Caven nicht zur Polizei ging.
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82
I rgendwo hinter den Wänden des Zimmers hatte jemand den ganzen Morgen geschrien. Eine Zeit lang waren eine Reihe tiefer, entsetzlicher Klagelaute zu hören, die in Faiths Ohren klangen, als läge ein Mann aufgespießt auf einem spitzen Zaun. Dann drangen durchdringende, hysterische Schreie zu ihr. Sie raubten ihr den Nerv.
Aber noch mehr nervte sie die große Frage.
Sie bereitete ihr schon eine ganze Weile Kopfzerbrechen – allerdings konnte sie nicht genau sagen, wie lange, denn ihre Uhr war verschwunden. Sie war ersetzt worden durch ein Plastikschildchen, auf dem ihr Name stand: Faith Ransome (Mrs. ).
Wahrscheinlich hatte man das getan, um ihr zu helfen. Nützlicher als ihren Namen zu kennen war im Augenblick jedoch zu wissen, wie spät es war.
Ein kleineres Problem bestand darin, dass ihr Namensschild schmaler als ihr Uhrband war. Beidseits des Namensbandes zeigte sich an ihrem Handgelenk ein heller Streifen, der von der sengenden Sonne in Thailand unberührt geblieben war. Sie hatte sowohl die Krankenschwester, die die Pillen brachte, als auch die Schwester, die die Bettpfanne entfernte, gefragt, ob sie ein Band haben könne, das das Weiße bedecke, aber beide hatten geantwortet, dass das nicht möglich sei.
Aber das war nicht die große Frage, die ihr Kopfzerbrechen bereitete, auch wenn sie eine willkommene Ablenkung von den Schreien des Mannes bot, der auf dem Zaun aufgespießt war.
Das große Problem war vielmehr dieses Dingsda auf ihrem Handrücken. Sie hatte es schon ein Dutzend Mal gesehen, in jeder TV -Krankenhausserie, die sie sich angeschaut hatte, aber selber hatte sie noch nie so was getragen.
Eine Nabelschnur, dachte sie. Als wäre sie wieder ein Baby. Mit der Mutter verbunden. Eine große, stumme Metallmutter, nur ein Metallgestell mit einem Metallarm und einem Kunststoffbeutel, der von einem Haken an einem Arm hing, aus dem die Nabelschnur hervorkam, die zu einem Verbindungselement hinunterführte, das mit einem Pflaster auf ihrem Handrücken befestigt war.
Wie zum Teufel nannte man dieses Ding?
Ihre Gedächtnis bereitete ihr große Probleme. Mal machte ihr das Sorgen, dann wieder sah sie das ganz entspannt. »Eigentlich bin ich völlig cool, was diese Sache betrifft«, sagte sie laut. Sie fand es gut, hier drin zu reden, es half ihr, das Sprechen zu üben: Man musste solche Fähigkeiten nutzen. »Übung macht den Meister«, sagte sie zu sich selbst.
Der Mann auf dem Zaun stöhnte, und mit einem Mal wusste sie, dass er ihr zustimmte.
Sie blickte sich um, obwohl da nichts war, das sie nicht schon mehrmals gesehen hätte. Leere, weiß gestrichene Wände – ein hübsches Weiß, das man immer wieder betrachten, auf das man seine Gedanken projizieren konnte, ein echtes Kinoleinwand-Weiß. Nun war die Pause.
Es hingen keine Bilder im Zimmer, und das einzige Fenster war eine Art Oberlicht in der hohen Zimmerdecke, eine Milchglasscheibe, durch die diffuses Tageslicht drang. Man konnte nicht erkennen, ob es ein bewölkter oder sonniger Tag war. Es war nicht wichtig.
Vorhänge gab es auch keine.
Das war mehr eine Beobachtung und weniger eine Sorge. Nichts bereitete ihr im Augenblick Sorgen: Sie fühlte sich wie vor Jahren, als sie –
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