Mein bis in den Tod
manchmal von der Zimmerdecke aus zusehen kann.
Konnte das sein?
Harvey war ermordet worden. Im Laufe der Jahre waren sie beide oft miteinander verwechselt worden. Ross Ransome war ein Dreckskerl, und Oliver hatte ihn, was immer Faith gesagt hatte, ganz oben auf die Liste seiner persönlichen Tatverdächtigen gesetzt und dies der Polizei gegenüber auch deutlich gemacht.
Er schritt zur Tür und sah den Flur hinauf und herunter, dann lief er zum Bett zurück, trennte den Infusionsschlauch von der Kanüle, legte das Ende des Schlauchs an den Mund und probierte die Lösung mit der Zungenspitze. Sie schmeckte einigermaßen harmlos. Dann steckte er sich die Spitze in den Mund, saugte ein paarmal daran, schluckte und stöpselte den Infusionsschlauch wieder ein. Er sah, dass das elektronische Kontrollgerät, das an dem Schlauch befestigt war, auf sechs Stunden eingestellt war.
Augenblicke später kam die Krankenschwester wieder ins Zimmer, in der Hand einen frischen Beutel, den sie gegen den fast leeren austauschte.
»Erwarten Sie Mr. Ransome?«, fragte er sie.
»Er hat gesagt, er wird gegen sechs Uhr hier sein.« Sie blickte auf ihre Uhr. »Fünf vor halb sieben.« Dann, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte, sagte sie: »Soll ich Ihnen Bescheid sagen, wenn er eintrifft?«
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar.« Dann fügte er hinzu: »Sagen Sie – die Infusionslösung, wird die alle sechs Stunden ersetzt?«
»Tagsüber. In der Nacht läuft sie auf Dr. Freemantles Anweisung zwölf Stunden durch.«
Oliver bedankte sich. Sie ging und schloss die Tür.
Auf einmal glitzerte die Tür. Verdutzt starrte Oliver sie an. Es war, als zitterte jedes einzelne Atom in der Tür. Und als er sich wieder Faith zuwandte, schien die Tür länger zu werden und ihm zu folgen. Unsicher auf den Beinen griff er nach der Bettkante, um das Gleichgewicht zu behalten, und berührte dabei Faiths Handgelenk. Plötzlich wurde ihm schwindlig, sein Kopf fühlte sich heiß an. Der Boden schien unter ihm zu schwanken.
Eine Stimme, die er nicht sofort als die eigene erkannte, sagte: »Was meinst du damit, Faith – dass du Ross von der Zimmerdecke zusiehst, während er den Beutel auswechselt?«
Es war er selbst, der sprach, aber er hatte das Gefühl, außerhalb seines Körpers zu sein.
Derselbe monotone Tonfall. »Er kommt und wechselt den Beutel. Er glaubt, ich bemerke das nicht.«
Jetzt schien sie sehr weit entfernt zu sein – als befände sie sich auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Aber er stand direkt neben ihr. Er starrte zum Oberlicht hinauf, das jetzt aussah wie eine winzige Kugel goldenen Lichts, Kilometer über seinem Kopf. Etwas kroch über seinen Rücken. Es fühlte sich an wie eine Spinne. Als er hinter sich griff, spürte er noch mehr Tiere, auf der Brust, den Beinen, dem Nacken.
Er wand sich und musste seine ganze Konzentration aufwenden, damit er die Worte zusammensetzen konnte und wieder imstande war, sie auszusprechen, als müsste sein Gehirn die Impulse einzeln, nacheinander an seine Stimmbänder senden.
»Sag mir, was passiert ist, Faith. Warum bist du hier?« Ameisen krabbelten ihm den Arm herunter. Er zog das Jackett aus und schob die Hemdsärmel hoch, konnte da aber nichts sehen.
Langes Schweigen. »Sie haben mich abgeholt.«
»Weißt du, wo du bist?«
Sie schüttelte den Kopf.
Jetzt krabbelten die Ameisen überall auf seinem Körper herum. »Du bist in einem psychiatrischen Krankenhaus. Im Grove Hospital.«
»Psych –«
Die Tür ging auf. Er sah die Krankenschwester, Stationsschwester Sheila Durrant. Ihre Lippen bewegten sich, aber es schien, als dauerte es ewig, bis ihre Worte ihn erreichten. Er spürte die Schwingungen in der Luft, die jedes einzelne Wort erzeugte. »Möchten. Sie. Etwas. Trinken. Dr. Cabot?«
Er strengte sich mit aller Kraft an, sich weiter auf sie zu konzentrieren. Sie sah ihn merkwürdig an. Erkannte sie, dass er sich in irgendeiner seltsamen Sphäre befand?
»Danke, mir geht’s gut, uns geht’s prima.«
Sie schloss die Tür. Diesmal verzerrte sich der Klang, das Klicken des Schlosses glich einem Kanonenschuss, der durch ein Tal hallte.
In seiner Jugend hatte er ein paarmal LSD genommen. Der erste Trip war herrlich gewesen, aber bei den späteren hatte er sich unwohl gefühlt. Es behagte ihm nicht, die Kontrolle zu verlieren, und die Empfindung, von seinem Körper getrennt zu sein, hatte Panik in ihm ausgelöst. Er hatte danach nie mehr Drogen genommen.
Jetzt erkannte
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