Mein bis in den Tod
über dem Gesicht, die Schädeldecke war abgesägt und zur Seite gelegt, das Hirn lag nahebei auf einem Metall-Rollwagen. Vom rechten Zeh hing ein Identifikationsschildchen.
»…, wobei die Nähte und Schwellungen im Gesicht mit den letzten kosmetischen Operationen übereinstimmen.« Er schaltete das Diktiergerät aus, ging quer durch den Raum und legte es ab, wählte ein Messer, kehrte zur Leiche zurück und nahm das Gehirn in die Hand. Nachdem er es auf das weiße Kunststoffschnittbrett hinter ihrem Kopf gelegt hatte, nahm er einen sorgfältigen Schnitt vor und sah kurz zu seiner Assistentin, der Pathologin Annie Halls, die neben ihm stand. »Hier, das ist die Schädigung durch die Meningoenzephalitis, und –«
Er wurde durch eine weitere Assistentin unterbrochen. Die attraktive, gutmütige Mittvierzigerin, die Inderin Zeenat Hosain, betrat den Raum.
»Dr. Barrow, Sarah vom Büro des Coroners ist am Apparat. Sie sagt, es sei sehr wichtig. Sie möchte Sie sofort sprechen.« Sie nickte in Richtung der Leiche. »Es geht um diese Dame.«
Harry Barrow zog seine Handschuhe aus und ging zum Wandtelefon. »Sarah? Guten Morgen.«
»Morgen, Harry. Wir wissen, Sie haben alle Hände voll zu tun, aber wir hatten da einen merkwürdigen Anruf bezüglich Lady Reynes-Raleigh. Es könnte unwichtig sein, aber der Coroner möchte, dass Sie die Frau besonders genau unter die Lupe nehmen.«
»Was wollte der Anrufer?«
»Er wollte seinen Namen nicht nennen, aber er behauptet, Mr. Ransome, den Chirurgen, der sie operiert hat, zu kennen. Er meint, ihr Tod könnte vorsätzlich herbeigeführt worden sein. Wir nehmen den Anruf nicht so ernst, dass wir in diesem Stadium Ermittlungen wegen Mordes starten, aber seien Sie bitte besonders gründlich.«
Tief in Gedanken wandte sich Harry Barrow wieder dem Leichnam zu.
Seiner Einschätzung nach gab es kaum einen Zweifel, dass es sich bei der Todesursache um Meningoenzephalitis handelte – da musste man sich nur mal den Zustand des Gehirns ansehen.
Der Bereich, den er sich als Erstes genauer ansehen wollte, befand sich im Schädelinneren. Vielleicht entdeckte er dort irgendetwas, irgendeine Abnormität, die mit der Gehirnentzündung in Zusammenhang stand, was er, offen gesagt, allerdings bezweifelte.
Er berührte den losen Lappen der Kopfhaut, durch den sich Nase und Haut der Frau leicht abzeichneten. »Eigentlich könnte ich auch eine Praxis als Schönheitschirurg eröffnen. So einen Kopfhautlappen könnte ich viel billiger machen als dieser Ransome.«
Annie Halls lachte. Schwarzen Humor hatten alle, die in der Pathologie arbeiteten.
Wieder ernst, betrachtete er eingehend das Schädelinnere. Eine Infektion, die eine Gehirnentzündung verursachte, konnte den Körper auf ganz unterschiedliche Weise befallen. Aufgrund der Labortests, die gemacht worden waren, als die Frau noch lebte, wusste er, dass es sich um einen Stamm von Sepsis-Erregern und vermutlich um eine Kreuzkontamination im Krankenhaus handelte, aber die Keime konnten auch durch die Luft, das Wasser oder durch eine Wunde übertragen worden sein.
Plötzlich fiel ihm etwas ins Auge, im Siebbein, dem Knochen, der die Nasenhöhle von der Hirnschale trenne – eine winzige, schnurgerade Fraktur. Unnatürlich. Überdies war es im umliegenden Gewebe zu kleineren Einblutungen gekommen.
Er ging zu seinen Werkzeugen, wählte eine Zange und zog den Rand der Dura, die dicke weiße Membran an der Schädelinnenseite, vom Knochen weg. Darunter sah er die Schädigung des Siebbeins deutlicher. Es könnte möglich sein, dass der Meißel des Chirurgen während der Rhinoplastik so weit eingedrungen war. Ungeschickt, vor allem bei einem Mann von Ransomes Reputation.
Doch um so etwas zu tun, hätte man eine Menge Kraft aufwenden müssen.
Sorgfältig schnitt er einen Abschnitt der Siebbeinplatte des Knochens aus. Er hatte vor, den Knochen im Labor zu fixieren und zu entkalken, dann den beschädigten Abschnitt unter dem Mikroskop nach Hinweisen auf Eiter oder einen Entzündungsherd zu untersuchen. Zwar würde es einige Tage dauern, bis die Salzsäurelösung das Kalzium entfernt hatte, aber dann könnte man den Schaden deutlicher erkennen.
Je länger er darüber nachdachte, desto mehr irritierte ihn die Schädigung. Die Siebbeinplatte lag relativ weit entfernt vom Operationsfeld einer Rhinoplastik, bei der der Knochenmeißel zwischen der Haut und der äußeren Seite der Nasenknochen hochgeführt wurde. Was hatte ein chirurgisches
Weitere Kostenlose Bücher