Mein bis in den Tod
hatte sie Faiths bettlägerigen Vater gepflegt und zugesehen, wie er körperlich immer mehr abbaute.
In jenen furchtbaren Jahren, als ihr Vater genau genommen nur noch dahinvegetierte, war Ross wunderbar gewesen. Er hatte die Rund-um-die-Uhr-Pflege bezahlt, ihrer Mutter finanziell ausgeholfen und ihrem Vater, auch wenn man kaum etwas für ihn tun konnte, die beste ärztliche Behandlung im ganzen Land besorgt. Das war auch der Grund, weshalb Ross in den Augen ihrer Mutter nichts Unrechtes tun konnte.
Faith hob ein paar Spaghetti an, mischte sie mit der Fleischsoße und hielt Alec beides vor den Mund. Er hielt die Lippen fest verschlossen.
»Iss!«, zischte sie.
Die brennende Zigarette im Mundwinkel, sagte ihre Mutter: »Wir hatten einen schönen Tag, Liebling. Wir waren im –«
»Alec! Iss das endlich!«
»Ich hab keinen Hunger.«
»Im Bentley-Wildvögel-Park«, sagte ihre Mutter. »Sag Mami, was wir gesehen haben, Alec.« Sie nahm die Zigarette aus dem Mund und hustete.
Faith drehte sich um und herrschte ihre Mutter an: »Hast du ihm den ganzen Tag Süßigkeiten gegeben?«
Die Mutter sah Alec an und antwortete: »Wir haben zu Mittag einen Cheeseburger gegessen. Bei McDonald’s.«
»Wann war das?«
Ihre Mutter und Alec tauschten verschwörerische Blicke. Du lieber Himmel, normalerweise war ihre Mutter so vernünftig. Aber wenn sie mit ihrem sechsjährigen Enkel zusammen war, verlor sie jeden Verstand.
»Mutter, wann habt ihr zu Mittag gegessen?«
»Hm –«
»Ich habe es dir doch gesagt, Alec soll einen geregelten Tagesablauf haben. Das ist wichtig für ein Kind. Mittagessen um eins, Abendessen um sechs, das ist Alecs Tagesablauf. Nach diesem Rhythmus musste ich mich als Kind auch richten, verflucht noch mal.«
»Ross hat gesagt –«
»Zum Teufel mit Ross. Er ist tagsüber nicht im Haus. Ich bin Alecs Mutter, und was ich sage, gilt, ja?«
Wieder tauschten die beiden Blicke. Als teilten sie ein Geheimnis und hätten ein schlechtes Gewissen. Alec grinste.
Faith stürmte aus der Küche.
In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie ging in die Halle, dann weiter in das kleine gemütliche Zimmer mit der großen alten Sitzgarnitur, den Bücherregalen voller abgegriffener Taschenbücher und dem großen 60-Zoll-Fernseher, der bei abgestelltem Ton lief. Ein Nachrichtensprecher sprach lautlos Worte, dann schwenkte die Kamera zu einer Reporterin, die einem Mann ein Mikrophon hinhielt.
Innerlich kochend vor Wut setzte sich Faith aufs Sofa. Sicher, sie reagierte über. Ein geregelter Tagesablauf war wichtig für Alec, aber sollte man nicht hin und wieder eine Ausnahme machen, und wenn es ihrer Mutter Freude bereitete, ihn zu verwöhnen, na und? So viele Freuden hatte sie auch wieder nicht im Leben gehabt, und dass sie sie kurzfristig aus ihrer kleinen, eintönigen Wohnung in Croydon herbestellen konnte, damit sie auf Alec aufpasste, war ein echtes Glück.
Doch da war noch etwas anderes, das ihr die Laune verdarb und über das sie seit Tagen – und Nächten – nachgrübelte, wenn sie frühmorgens aufwachte und dachte … dachte … dachte. Wenn sie die ganze Sache aus ihren Gedanken zu verbannen versuchte, es aber nicht schaffte.
Die Begegnung in den Räumen der
General Trading Company
war ihr noch frisch im Gedächtnis und ließ sich einfach nicht unterdrücken. Mehrmals hätte sie am liebsten zum Telefon gegriffen, um Oliver Cabots Angebot, ihr sein Zentrum zu zeigen, anzunehmen, aber jedes Mal war sie so klug – oder ängstlich – gewesen, Abstand davon zu nehmen.
Rasputin tappte ins Zimmer und kam zu ihr herüber. Sie legte ihm die Arme um den Hals und drückte ihn fest an sich.
»Bist ein braver Junge. Dir schmeckt’s immer, was?«
Sie erhob sich vom Sofa, stieg die Treppe hinauf und ging in ihr Schlafzimmer. Rasputin folgte ihr, blieb auf der Schwelle stehen und beäugte Faith neugierig. Sie setzte sich aufs Bett, öffnete ihre Handtasche und kramte von ganz unten die Visitenkarte hervor, die sie unter ein paar Tankstellenquittungen versteckt hatte. »Dr. Cabot. Cabot-Zentrum für Komplementäre Medizin«, las sie schuldbewusst.
Sie las sie gründlich, die Telefonnummer, die Faxnummer, die E-Mail- und die Internetadresse.
Sie sind der wirkliche Grund, Dr. Oliver Cabot, nicht wahr? Sie sind der Grund, warum ich so verflucht nervös bin.
[home]
13
E in Brandenburgisches Konzert.«
»Irgendein besonderes?«, fragte die OP -Schwester.
»Nr. 2, F-Dur, Jane«, antwortete Ross, ohne von
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