Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
sodass Sonnenenergie aus Athen nach Nord- und Mitteleuropa exportiert werden kann. Zum Beispiel Infrastrukturprojekte. Zum Beispiel mit Hilfe von Beschäftigungsgesellschaften, die einen Teil der enormen Jugendarbeitslosigkeit aufsaugen. Zugleich ist aus fiskalischen Gründen der Verkauf von Flughäfen, Häfen und anderem Staatseigentum geboten.
Wenn die EU tatsächlich ein solches Programm zustande bringen wollte, dann wäre dafür gewiss ein treuhänderischer Administrator erforderlich, der ökonomisches Wissen, politische und administrative Erfahrung vereint. Diesen zu finden und sich auf seine Kompetenzen zu einigen wird schwierig, aber unumgänglich sein. Niemand in Athen kommt dafür infrage (auch unter den Politikern oder Bankern in Deutschland sehe ich niemanden, dem diese Aufgabe zuzutrauen wäre). Vielleicht ist Jean-Claude Trichets jüngster Vorstoß eine nützliche Anregung.
Es wäre nicht auszuschließen, dass ein solches Programm dann auch für Portugal oder für Irland fällig wird. Weil aber alle drei Staaten zusammen nur etwa fünf bis sechs Prozent des gemeinsamen Marktes der EU ausmachen oder weil – anders als 1990 in der DDR – keinerlei Systemwechsel nötig ist, so handelte es sich selbst in solchem Falle nicht um eine exorbitante Größenordnung. Wir hätten die Fähigkeiten – was uns fehlt, sind Entschlusskraft und Wille.
Jedenfalls gibt es für die Europäer zwei zwingende Gründe, bei der Wiederankurbelung der griechischen Wirtschaft zu helfen. Denn die Instanzen der EU und der EU -Staaten haben schuldhaft ihre Pflichten versäumt. Auch die Bankenaufsichten haben geschlafen, als Geldhäuser, zum Beispiel die deutsche Pfandbriefbank Hypo Real Estate, dem griechischen Staat in leichtfertiger Weise Anleihen abgekauft haben, die zu bedienen unter Umständen unmöglich wird. Die Kommission in Brüssel hat geschlafen, die Finanzminister haben geschlafen – dürfen sie nun den Armen in Athen schuldig werden lassen? Der Arme ist allerdings auch selber schuldig.
Der zweite Grund hat noch mehr Gewicht: Wenn die EU zulässt, dass einer ihrer Mitgliedsstaaten in Konkurs geht, dann wird damit ein politisches und psychologisches Präjudiz geschaffen, das künftig die Union als Ganzes gefährden könnte. Griechenland ist Mitglied der Europäischen Gemeinschaft seit 1981 , das Land war Mitglied der EU , als 1991 / 92 in Maastricht der Beschluss zu einer gemeinsamen Währung gefasst wurde. Inzwischen hat die EU die Zahl ihrer Mitglieder mehr als verdoppelt. Dabei hat sie leider versäumt, die alten Spielregeln der Einstimmigkeit mit Blick auf die größer gewordene Familie umzugestalten. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Nationalstaaten ist nach wie vor nicht wirklich geklärt. Man sieht dies auch an der nebensächlichen Rolle, die man dem Europäischen Parlament zugewiesen hat. Man sieht dies an der abstrusen Konstruktion der Europäischen Kommission mit 27 Mitgliedern. Man sieht es auch am Vertrag von Lissabon, dessen komplizierte Bestimmungen selbst versierte Juristen nicht verstehen.
In den vergangenen zwei Jahren haben sich die europäischen Instanzen de facto als nicht handlungsfähig erwiesen. Handlungsfähig war nur die Europäische Zentralbank. Weil die Staaten nicht gehandelt haben, nicht die Regierungen, ist die EZB in die Lücke gesprungen. Sie hat in erheblichem Maße griechische Staatsanleihen auf eigene Kosten aus dem Markt genommen. Natürlich muss die EZB auf diese sogenannten Guthaben eines Tages Abschreibungen vornehmen. Ein Politiker aber, der das Engagement der Bank heute kritisiert, sollte sich an die eigene Nase fassen. Er selber hat nämlich nichts zustande gebracht.
In diesen Wochen erleben wir, dass Griechenland die Zahlungsunfähigkeit droht. Wir erleben aber eine ebenso gravierende Krise der EU . Angesichts dieser Situation sind wochenlange Streitigkeiten aus Geltungsbedürfnissen, Eitelkeiten und Populismus über unwichtige Details nur schädlich – auch wenn sich Berlin und Paris nun einmal wieder einig zeigen.
Was ist das grundlegende deutsche Interesse? Die Einbindung Deutschlands in die EU ist für uns noch wichtiger als die Einbindung der deutschen Streitkräfte in die NATO . Keine andere Nation in Europa ist angesichts der Geschichte des 20 . Jahrhunderts stärker darauf angewiesen, nicht isoliert dazustehen, sich auch selber nicht zu isolieren. Keine andere Nation hat mehr Nachbarn als wir, die wir im Zentrum leben. Kein
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