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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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haben oder den deutschen Maschinenbau. Und damit bin ich beim dritten Punkt: Es wird auch ohne Transfers nicht gehen.
    SCHMIDT:
    Ich bin Ihrer Meinung.
    DIE ZEIT:
    Das hieße Länderfinanzausgleich auf europäischer Ebene, also doch letztlich gemeinsame Schuldenregelung.
    FISCHER:
    Ja.
    DIE ZEIT:
    Frau Merkel tritt in den entscheidenden Momenten immer auf die Bremse und sagt dann, ich muss die Bevölkerung mitnehmen. Dafür ist sie jetzt grandios wiedergewählt worden.
    FISCHER:
    Sie könnten auch sagen, die Grünen und die Sozialdemokraten haben Frau Merkels Politik immer mitgetragen – was ich bitte nicht kritisiere! – und wurden dafür abgestraft. Aber so einfach lässt sich die letzte Bundestagswahl nicht interpretieren.
    DIE ZEIT:
    Aber warum haben alle Parteien bis auf eine das Europa-Thema aus dem Wahlkampf ausgeblendet? Weil man damit keine Stimmen gewinnt?
    FISCHER:
    Ja, das dachten sie alle, aber das halte ich für Quatsch.
    SCHMIDT:
    Das europäische Thema war nicht nur aus dem Wahlkampf ausgeblendet, es war auch aus anschließenden Koalitionsverhandlungen ausgeblendet. Runde für Runde haben sie sich da über sozialpolitische und arbeitsmarktpolitische Randthemen wie Mindestlohn unterhalten. Das europäische Thema ist zehnmal so wichtig wie das Thema Mindestlohn, aber Mindestlohn war das große Thema.
    FISCHER:
    Schlimmer noch! Wenn es stimmt, was zu lesen war, dass bei einem der ersten Treffen der drei Parteivorsitzenden von CDU , CSU und SPD Mindestlohn gegen Eurobonds aufgerechnet wurde, dann kann man für Europa nur schwarzsehen.
    DIE ZEIT:
    Frau Merkel steht in Europa gut da – kritisch gesehen von vielen, aber auch als die Frau, die Europa vertritt wie niemand anders.
    SCHMIDT:
    Sie vertritt Europa nicht. Das würde ich nicht unterschreiben. Zurzeit ist die Zentralbank unter Mario Draghi die einzige Instanz in ganz Europa, die vernünftig funktioniert.
    FISCHER:
    Und die führt. Mit Billigung der Staats- und Regierungschefs einschließlich unserer Kanzlerin. Die Europäische Zentralbank ist ja eigentlich nicht für die Fiskalpolitik vorgesehen, aber faktisch reicht das, was Draghi macht, weit in die Fiskalpolitik hinein. Man wollte diese Fragen nach Frankfurt schieben, um das Thema zu entpolitisieren, weit weg von den Wählern zu halten.
    DIE ZEIT:
    Es ist doch ganz clever, die politische Verantwortung abzuwälzen auf Institutionen und Instanzen, die dafür nicht vorgesehen sind. Aber bringt es auch voran?
    FISCHER:
    Es bringt schon voran, aber es ist eine Notlösung, und je länger Sie an einer Notlösung festhalten … Wenn Ihr Haus brennt, setzen Sie es unter Wasser, um ein vollständiges Niederbrennen zu verhindern. Aber wenn Sie es zu lange unter Wasser setzen und nach der Löschung nicht bald mit dem Abpumpen beginnen, kriegen Sie ein Problem. In dem Zustand befinden wir uns gegenwärtig, nur sehen die meisten Menschen noch nicht die Schäden, die das Löschwasser von Herrn Draghi anrichtet. Wenn jetzt nicht neue, quasi gouvernementale Strukturen, mit demokratischer Verantwortung gekoppelt, langsam die Aufgabe übernehmen – so etwas können meines Erachtens nur Frankreich und Deutschland anschieben –, dann, fürchte ich, werden wir an einem nicht allzu fernen Tage an der ganzen Rettungsaktion noch ersaufen.
    SCHMIDT:
    Mir fällt ein Beispiel aus den siebziger Jahren ein. Damals war Italien in der Bredouille, nahe an einem Staatsbankrott, und brauchte dringend Geld. Karl Klasen, der damalige Bundesbankchef, und ich waren uns über den Ernst der Lage völlig im klaren und einig darin, dass man helfen musste. Und dann haben wir etwas erfunden, was es nicht gab, nämlich einen zwischenstaatlichen Kredit. Es war eine Riesensumme damals, ich glaube zwei Milliarden Dollar, als Kredit der Bundesbank an die Banca d’Italia – unter Umgehung des Parlaments. Die Herren von der Bundesbank bestanden darauf, dass Italien sein Gold verpfändete, aber die Italiener sind wieder auf die Beine gekommen, konnten ihr Gold behalten und haben zurückgezahlt. Die Eurobonds könnte man heute auf ähnliche Weise organisieren.
    DIE ZEIT:
    Es hat in dieser Europakrise bereits Situationen gegeben, wo das Parlament eigentlich keine Mitsprache mehr hatte, weil es von der Regierung unter erheblichen zeitlichen Druck gesetzt wurde.
    FISCHER:
    Da muss ich widersprechen. Der Zeitdruck war ja kein feiges Komplott der Bundesregierung, um demokratische Entscheidungsstrukturen auszuhebeln, sondern entsprach

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