Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
der Dramatik der objektiven Situation.
DIE ZEIT:
Jürgen Habermas hat im Zusammenhang mit der Krise immerhin den Vorwurf des Postdemokratischen erhoben: Es habe eigentlich nur noch die Exekutive gehandelt, genau genommen nur noch Frau Merkel. Ist es nicht in der Tat ein Problem, dass die Entscheidungskompetenzen im Europäischen Rat liegen, also weder bei der Kommission noch im Europaparlament, sondern bei den nationalen Regierungen? Die Krise war sozusagen die Stunde der Exekutive.
FISCHER:
Es war die Stunde der Währungsunion und nicht der EU 27 – Gott sei Dank auch nicht die Stunde der Bundesbank. Denn wäre es nach der Bundesbank gegangen, gäbe es den Euro nicht mehr. Wäre es nach den EU 27 gegangen, wäre keine Entscheidung rausgekommen, das muss man auch sehen. Es war die Stunde der Währungsunion, und die Währungsunion hat nun mal ein massives politisches Defizit, da entscheiden die nationalen Parlamente, nicht das Europaparlament.
Ich will noch eine Nachbemerkung machen zu der traditionellen deutschen Rolle, Europas Einheit zu finanzieren. Diese Rolle war bisher nur einmal begrenzt: in den späten neunziger Jahren durch die Kosten der deutschen Einheit. Selbst die Regierung Kohl konnte am Ende nicht mehr so großzügig sein, weil aufgrund dieser nationalen Anstrengung die finanziellen Spielräume Deutschlands erheblich reduziert waren. Für uns war das eine schwierige Phase. Im März 1999 , als wir die Ratspräsidentschaft übernahmen und den siebenjährigen Haushalt verhandeln mussten, hat sich Jacques Chirac gegenüber Gerhard Schröder bei den Verhandlungen in Berlin nicht gerade wie ein Gentleman benommen, um es mal diplomatisch zu formulieren.
SCHMIDT:
Chirac ist nie ein Europäer geworden.
FISCHER:
Im Verhältnis zu seinem Nachfolger Sarkozy war er ein französischer Staatschef in seinen europäischen Widersprüchen. Mit Sicherheit war er kein Giscard.
SCHMIDT:
Er war auch nicht ein Mitterrand, ein gewandelter Mitterrand.
FISCHER:
Wobei ich mir bei Mitterrand, ehrlich gesagt, nicht so sicher bin, wie weit er sich wirklich gewandelt hat. Ich kannte ihn nicht, aber das, was ich über ihn und seine Politik gelesen habe, lässt mich zweifeln. Er war gewiss von der deutsch-französischen Aussöhnung überzeugt, aber ob ihn das gleichzeitig zu einem Europäer gemacht hat? In seiner beeindruckenden letzten Rede im Straßburger Europaparlament hat er diesen Satz, der mir nicht aus dem Kopf geht, gesagt: Le nationalisme c’est la guerre – der Nationalismus, das ist der Krieg. Und da steckt viel Vermächtnis drin. Aber ob er deswegen zu einem Europäer geworden ist …
SCHMIDT:
Er war jedenfalls in einem stärkeren Maße ein Europäer geworden, als sein Nachfolger Chirac je gewesen ist. Ihr habt ja Glück gehabt, dass ihr euch getroffen habt mit Chirac in der Ablehnung der Beteiligung am zweiten Irakkrieg.
FISCHER:
Ja! Seitdem liefen die Dinge anders, bis dahin waren sie sehr schwierig. Sehr schwierig, weil viel Misstrauen mit hineinspielte.
SCHMIDT:
Wann musstet ihr euch entscheiden, Deutschland am zweiten Irakkrieg nicht zu beteiligen?
FISCHER:
Ich kannte die amerikanischen Neokonservativen nicht. Als ich sie dann kennenlernte im Zusammenhang mit Afghanistan und dem 11 . September stellte ich fest, das waren keine Konservativen, sondern das waren ehemalige Linksradikale, die jetzt konservativ waren, aber sie lebten noch immer in der Vorstellung, man könnte mit Krieg und bewaffneter Intervention die Welt zu einer besseren machen, und das führte eben weg vom 11 . September und hin zum Irak. Schröder und ich waren recht früh der Meinung, dass wir ein großes Problem bekommen, weil wir da nicht mitmachen können. Die Verfassungslage bei uns war klar, und es gab keine Fakten, die die Geheimdienste oder wer auch immer hätten beibringen können, dass Saddam Hussein mit Al Qaida irgendetwas zu tun hatte – im Gegenteil, die beiden waren damals Todfeinde. Bei uns fiel die Entscheidung vor dem Eintritt in die parlamentarische Sommerpause 2002 , und zwar Anfang Juli. Es gab einen deutsch-französischen Gipfel, zu dem wir gemeinsam im Hubschrauber flogen, und zwar von Berlin nach Schwerin, und vorher hatten wir uns noch zum Frühstück getroffen im Beisein des außenpolitischen Beraters von Gerhard Schröder, und da haben wir darüber gesprochen. Ich habe dem Kanzler gesagt, dass ich für uns keine Möglichkeit sehe, und ich könnte dafür auch nicht eintreten, weil ich
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