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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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die intellektuelle Kraft, die erforderlich wäre, den Europa-Gedanken so voranzutreiben, wie es jetzt, zu Beginn des 21 . Jahrhunderts, nötig wäre und wie es noch in Ihrer Generation, aber auch noch unter Kohl und Mitterrand selbstverständlich war.
    Die
Zeit:
Haben wir also eine Führungskrise in Europa?
    SCHMIDT:
    Wie Sie es nennen wollen, ist mir egal. Die Tatsache, dass wir nicht einmal einen erstklassigen Mann an der Spitze der Europäischen Kommission in Brüssel haben, spricht Bände. Wir haben Europa einfach schlecht organisiert. Die Folge ist, dass die Vereinheitlichung von Verpackungen den meisten Politikern dringlicher erscheint als die Frage, wie wir mit den Folgen der demographischen Entwicklung fertigwerden.
    FISCHER:
    Meine Beobachtung ist, dass Deutschland mitverantwortlich ist für diese Entwicklung, weil es seine traditionelle Rolle innerhalb der Europäischen Union ein Stück weit aufgegeben hat. Deutschland war in allen Stadien der europäischen Integration, gemeinsam mit Frankreich, in einer Vorreiterrolle gewesen. Wir haben zwar immer auch an unsere nationalen Interessen gedacht, aber wir haben nie den Ehrgeiz gehabt, von einem Gipfel in Brüssel nach Hause zu kommen und uns dafür öffentlich loben zu lassen, wie viel wir aus Brüssel mitgebracht haben. Wir haben gegeben, wir haben genommen, und es war nicht zu unserem Schaden, ganz im Gegenteil.
    Sie haben in einer Ihrer Bundestagsreden erwähnt, dass Frankreich zum Souveränitätsverzicht immer nur bedingt bereit war. Wir sind jetzt in einer Situation, in der das deutsch-französische Verhältnis neu definiert wird. Ich sehe nicht, was passieren würde, wenn die Deutschen ihre traditionelle Rolle aufgeben, Europa zu finanzieren. Ich erwarte da nichts Gutes! Das hat Deutschland – genauer gesagt, Westdeutschland – immer gemacht, zum eigenen Nutzen, wie ich noch mal betone; es war nicht milde christliche Nächstenliebe, sondern politisch ausgesprochen klug, den eigenen Nutzen gemehrt zu haben, indem man Europa finanzierte. Das wird meines Erachtens in Zukunft nicht mehr gehen, wenn Frankreich nicht bereit ist, den Schritt zu weiterem Souveränitätsverzicht zu machen, denn ich sehe nicht, egal in welcher politischen Konstellation, dass es mit Deutschland ein Maastricht  II geben wird, das heißt materielle Vergemeinschaftung ohne wirkliche politische Vergemeinschaftung.
    Es ist eine eigentümliche Dialektik. Deutschland und Frankreich sind sich heute näher denn je – und doch so weit voneinander entfernt. Man steht mehr und mehr Rücken an Rücken, auch in der Kultur. Welche Rolle hat früher das französische Kino in Deutschland gespielt! Und auch die Literatur. Man hat den Eindruck, der Rhein ist breiter geworden, obwohl er heute viel leichter zu überqueren ist. Eine merkwürdige Dialektik.
    SCHMIDT:
    Frau Merkel würde wahrscheinlich nie auf die Idee kommen, die für mich eine Leitidee war, heute vor vierzig Jahren: Nichts ohne Frankreich! Das war ein unausgesprochener Grundsatz für mich: Nichts ohne Frankreich! Deswegen habe ich zum Beispiel auf französischen Wunsch der Aufnahme Griechenlands in die Europäische Union zugestimmt. Ich habe gewusst, dass Griechenland kein Staat war, mit dem man sich Unter den Linden sehen lassen kann. Ich war nicht der Meinung, dass Griechenland reif war, in den gemeinsamen Markt aufgenommen zu werden, aber Giscard war überzeugt: Jetzt haben die aus eigener Kraft die Militärdiktatur abgeschafft – ebenso die Spanier, ebenso die Portugiesen –, jetzt müssen wir ihnen dadurch beistehen, dass sie uns beitreten. Diese Position macht auch heute noch Sinn für mich. Also, die Vorstellung »Nichts ohne Frankreich«, die gibt es bei Frau Merkel nicht.
    Die
Zeit:
Sind Frankreich und Deutschland heute noch diejeni- gen, auf die es ankommt, vielleicht mehr denn je? Und wenn das so ist, muss dann Deutschland angesichts der momentanen französischen Schwäche nicht mehr Führungsverantwortung übernehmen?
    FISCHER:
    Es geht hier nicht um Führungsverantwortung, schon gar nicht um die alleinige von Deutschland. Ganz im Gegenteil gilt der von Helmut Schmidt eben erwähnte vierzigjährige Grundsatz »Nichts ohne Frankreich!« heute mehr denn je, wenn Europa einen Weg aus der Krise finden soll. Deutschland muss seiner traditionellen Rolle gerecht werden, den europäischen Einigungsprozess zu finanzieren, und zwar gemeinsam mit Frankreich. Ich glaube, der entscheidende Punkt, an dem Deutschland seine

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