Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
noch ein bisschen unter dem Fragezeichen des englischen Referendums [mit dem im Juni 1975 der Beitritt bestätigt wurde]. Wir haben versucht, den britischen Genossen deutlich zu machen, wie sehr unsere Partei die Mitgliedschaft Englands für wünschenswert hält. Wir haben gemeint, unser Appell sei früher schon verstanden worden oder die ökonomischen Vernunftbegründungen und die politischen Vernunftbegründungen, die wir gaben, seien verstanden worden. Aber offenbar bedarf es weiterer Anstrengungen, um die englische Volksseele und auch die Seele unserer Labour-Genossen voll zu überzeugen. Ich glaube, dass in den letzten Wochen unser Appell – jedenfalls in der allgemeinen britischen Öffentlichkeit – nicht nur gut verstanden worden ist, sondern auch gut aufgenommen worden ist.
Natürlich müssen wir in Bezug auf dies Referendum einiges noch tun, was die zentralen Anliegen der britischen Labour-Regierung angeht. Wir haben auf dem Pariser Gipfeltreffen – ich streiche das Wort Gipfel, ich mag es nicht hören –, auf dem Pariser Treffen unsere Bereitschaft, das zu tun, klar genug bekundet. Aber auch das wird erneut Opfer bedeuten. Und es ist ein großer Irrtum zu meinen, es sei ein Opfer des deutschen Finanzministers. Der ist nur der Wortführer. Es sind Opfer an sozialpolitischer und reformpolitischer Handlungsfreiheit des deutschen Parlaments, die wir eingehen. Ich meine, was ich sage. Man muss diese Opfer wollen. Es hat keinen Zweck, über Partnerschaft zu reden, und dann, wenn es ums Geld geht, damit aufzuhören. Man muss sie wollen. Nur: man wird auch das Recht haben abzuwägen, was man dem eigenen Volk und den eigenen Arbeitnehmern, der eigenen Sozialpolitik und allgemein der Reformpolitik, die der eigene Staat zu finanzieren hat, an Opfer zumuten kann.
Wenn wir über die Grenzen der jetzigen Europäischen Gemeinschaft hinaussehen, erkennen wir, dass auch andere Länder Ansprüche wahrnehmen auf Freiheit und auf Fortschritt. Auch wir haben eine Mitverantwortung dafür, dass Griechenland und dass Portugal von der Erbschaft der vergangenen Epoche nicht allzu sehr bedrückt oder gar erdrückt werden. Auf der anderen Seite soll man vielleicht ihre Übergangsschwierigkeiten in eine qualitativ andere politische Welt nicht überzeichnen, sondern vielmehr zu helfen versuchen, dass diese beiden Länder für Europa gewonnen und nicht etwa von Europa enttäuscht werden. Ein Schritt in dieser Richtung ist dadurch geschehen, dass das Assoziierungsabkommen der EG mit Griechenland wieder in Kraft ist. Wir müssen sowohl bilateral als auch, wie ich denke, über die EG Portugal entgegenkommen. Das muss dann übrigens auch, wenn sich später die Voraussetzungen dafür ergeben haben werden, für das andere iberische Land gelten.
Im übrigen stehen wir kurz vor dem Abschluss eines neuen Assoziierungsabkommens mit einer Vielzahl von Entwicklungsländern in Afrika, im karibischen Raum, im Pazifik. Es geht hier nicht nur um Kapitalhilfe, sondern dies ist wohl im Prinzip ein Schritt in die richtige Richtung, dass erstmalig in erheblichem Umfang diese Länder eine Stabilisierung ihrer Erlöse für den Export ihrer wichtigsten Erzeugnisse in die Gemeinschaft hinein und wichtige Vorteile für ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung erlangen. Europa gewinnt also nicht nur nach innen, sondern auch nach außen sehr schrittweise, sehr graduell, neue Konturen.
Kein Grund zur Resignation ( 1976 )
Die Rezession der Weltwirtschaft infolge der ersten Ölpreiskrise ließ Mitte der siebziger Jahre die ökonomischen Unterschiede zwischen den neun Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch schärfer hervortreten. Umso wichtiger war es, an den Verträgen festzuhalten und den inneren Ausbau der Gemeinschaft, vor allem aber auch die Direktwahl des Europäischen Parlaments und die Stärkung der Kommission voranzutreiben. In einer Regierungserklärung im April 1976 räumte Schmidt ein, dass sich die EG »nicht in einem guten Zustand« befinde, dass die Bundesregierung aber jenseits aller ökonomischen und finanzpolitischen Probleme das langfristige Ziel einer Wirtschafts- und Währungsunion nicht aus dem Auge verlieren werde.
F rau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem Abschluss der Gemeinschaftsverträge ist unsere Außenpolitik gleichermaßen eingebettet in die Politik der europäischen Einigung wie in das Atlantische Bündnis. Zu dem Gebäude, das in Europa entstanden ist – und es ist ein in der Welt stark beachtetes
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