Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
der D-Mark führen. Der Verlust weiterer deutscher Arbeitsplätze in den Industrien, die am Export orientiert sind oder unter Import-Konkurrenzdruck stehen, wäre unausweichlich, desgleichen der Verlust weiterer Arbeitsplätze in allen im internationalen Wettbewerb stehenden Dienstleistungsbranchen wie Telekommunikation, Verkehr, Banken und Versicherungen.
3 . Bei einer Verschiebung oder gar bei einer endgültigen Aufgabe des Projektes Währungsunion würde die Geldmengenideologie der Bundesbank die weltweiten Finanzmärkte zu einer weiteren Aufwertung der D-Mark veranlassen; dies würde einen weiteren Verlust von Arbeitsplätzen nach sich ziehen. Wenn aber die Arbeitslosigkeit und deren Kosten noch weiter steigen, dann sinkt zugleich die Zahl der Beitragszahler für alle Zweige der Sozialversicherung, eine abermalige reale Kürzung aller Sozialleistungen und der Renten wird unausweichlich.
4 . Die Währungen Frankreichs, Italiens und Spaniens sowie weiterer Staaten der Europäischen Union kämen durch weltweite Währungsspekulation unter Druck. Deren nationale Zentralbanken würden versuchen, durch höhere Zinsen gegenzusteuern; dadurch sänke die Investitionsquote, und die Arbeitslosigkeit würde infolgedessen auch in diesen Ländern steigen.
5 . Jede Verschiebung bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit eine endgültige Aufgabe des Projektes Währungsunion; denn auch nach zwei oder drei Jahren würden viele Mitgliedsstaaten der Europäischen Union keineswegs alle Maastrichter Kriterien erfüllen können. Damit fiele Europa in die seit dem Schuman-Plan von 1950 schwerste Krise der europäischen Integration. Alle Staaten Europas sind aber allein und als Einzelne zu schwach, um sich zukünftig gegen die Weltmächte USA , China, Russland, Japan (und demnächst Indien) behaupten und ihre Interessen im Welthandel, auf den Weltfinanzmärkten oder in Sachen des Schutzes der Atmosphäre und der Meere mit Erfolg vertreten zu können. Wer die Integration Europas abbräche, der lieferte die Mitgliedsstaaten der EU endgültig der Dominanz durch die Vereinigten Staaten aus – und damit deren »sozialer Grausamkeit« (Fritz Scharpf) à la Thatcher.
6 . Wenn das Projekt Währungsunion an Bonn scheitern sollte oder wenn die Völker und die öffentliche Meinung unserer Vertragspartner auch nur den Eindruck gewönnen, die Währungsunion sei an deutscher ideologischer Besserwisserei und deutscher Rechthaberei gescheitert, dann gerieten wir in eine gefährliche Isolierung, »dann würde es eiskalt für Deutschland« (Hans-Dietrich Genscher).
In der Tat: Schon bisher hat Deutschland durch sein Insistieren auf der »strikten Einhaltung« der fünf Maastrichter Konvergenz-Kriterien (also der Maßstäbe, an denen der ökonomische Gleichlauf der Teilnehmerstaaten gemessen werden soll) und durch seinen »Währungs-Rassismus« (Michel Rocard) gegenüber Südeuropa und besonders gegenüber Italien sich so unbeliebt gemacht wie niemals zuvor in den letzten fünfzig Jahren. Der Bundeskanzler hat jahrelang zugelassen, dass der heimliche deutsche Außenminister, Bundesbankpräsident Tietmeyer – von Kinkel hat man in dieser lebenswichtigen Frage nichts gehört –, und in dessen geistiger Gefolgschaft Finanzminister Waigel alle Partner unter ideologischen Druck gesetzt haben.
Wer die Wirkung einer von Tietmeyers Reden auf ein italienisches Publikum am Orte des Geschehens miterlebt hat, die Warnungen vor statistischer Kosmetik und Mogelei, die abfällige Attitüde gegen Italien und andere, wer die geradezu wilhelminische Aufspielerei in Sachen des illusorischen Stabilitätspaktes erlebt hat, um heute Waigel im Streit mit Tietmeyer bei gleichen Mogeleiversuchen zu erwischen – der kann die Schadenfreude und sogar die Häme verstehen, die heute in Italien, Spanien oder in der Schweiz, in Frankreich, England oder Holland zu hören und zu lesen sind.
Wirtschaftlichen Gleichlauf (Konvergenz) der Teilnehmerstaaten als Vorbedingung für eine gemeinsame Währung zu verlangen war von vornherein unklug. Der gleiche Dollar gilt für Louisiana und für Kalifornien. Von Konvergenz der Wirtschaft kann keine Rede sein. Dito nicht in Schottland und in London, die beide dieselbe Sterling-Währung benutzen. Dito nicht in Luxemburg und Belgien, die beide den gleichen Franc benutzen. Bei der Konvergenz-Forderung noch dazu Beschäftigung und Wachstum ganz aus dem Blick zu lassen und stattdessen alle fünf Maastrichter Kriterien allein auf haushalts- und
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