Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Hauptverantwortung dafür tragen; dass sie die Verantwortung gegenüber der Nation als weitaus wichtiger erkennen denn ihre taktischen Spielchen zwecks Machterwerb und Machterhalt. Es sei denn, sie finden zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, indem sie zum Beispiel im Tarifvertragsgesetz die Allgemeinverbindlichkeit und im Betriebsverfassungsgesetz die Nichtigkeit von Betriebsvereinbarungen beseitigen. Es sei denn, sie streichen tausend andere Paragraphen, die unsere Unternehmen und ganz besonders den gewerblichen Mittelstand fesseln. Die Politik muss die wirtschaftliche Freiheit in Deutschland von weit unten auf der Rangliste der Staaten wieder in die Spitzengruppe bringen – so wie Ludwig Erhard dies vor einem halben Jahrhundert vorgemacht hat. Weg mit den tausend Genehmigungsbestimmungen und den tausend Verhinderungsinstanzen! Der Staat muss endlich die Subvention alter und konkurrenzunfähiger Wirtschaftszweige abbauen und stattdessen den ganzen Nachdruck auf die Forschung und auf die Entwicklung neuer Spitzenprodukte konzentrieren, die einstweilen in Asien noch nicht hergestellt werden können. Natürlich brauchen wir dafür bessere, leistungsstärkere Universitäten, also brauchen wir Wettbewerb unter ihnen. Vor allem: Schluss mit der endlosen staatlichen Gängelung.
Das wichtigste Thema der Deutschen ist die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Wer stattdessen den Euro zum Hauptthema machen möchte, der wird seiner Verantwortung nicht gerecht.
Vertiefung statt Erweiterung ( 1999 )
Kaum war der Euro zum 1 . Januar 1999 als gemeinsame Währung in Kraft getreten, steuerte die Europäische Union in ihre nächste Krise. In Maastricht hatte man beschlossen, eine Reihe von osteuropäischen Staaten zur Mitgliedschaft einzuladen. Man sah jedoch geflissentlich darüber hinweg, dass die Institutionen der EU , die ursprünglich auf sechs Mitgliedsstaaten zugeschnitten waren und deren Hang zu Bürokratie und Regulierung ohnehin längst hätte reformiert werden müssen, bei einer Erweiterung auf zwanzig und mehr Mitgliedsstaaten vollends überdehnt werden würden. So sehr Helmut Schmidt den baldigen Beitritt von Polen, Tschechien und Ungarn begrüßte, so skeptisch zeigte er sich gegenüber Beitrittsverhandlungen mit Ländern wie Rumänien, Bulgarien – »und am Ende sogar die Türkei«.
E s war falsch, aus der geringen Beteiligung an der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni auf ein Desinteresse der Bürger oder sogar auf ihre Ablehnung der EU zu schließen. Tatsächlich gab es viele Gründe dafür, dass nur relativ wenige Leute sich an den Wahlen beteiligt haben. Da war der aufgestaute Ärger über lächerliche und überflüssige Vorschriften, die aus Brüssel auf Bürger und Unternehmen herniederregnen; über persönlichen Schlendrian in der EU -Kommission, der diese zum Rücktritt gezwungen hatte; über das Gezerre auf Gipfelkonferenzen – von den Medien genüsslich ausgebreitet. Man hatte den jahrelangen Streit um den Euro, um die Europäische Zentralbank und ihr Präsidentenamt noch in Erinnerung, obendrein las man regelmäßig von einem angeblichen Wertverlust des Euro.
Vor allem aber konnte kaum jemand verstehen, worum es bei der Wahl eigentlich ging. Schon die Verträge von Maastricht und Amsterdam mitsamt ihren über hundert (!) Protokollen und Erklärungen ließen sich nicht durchschauen. Jetzt traten zwar Konservative, Sozialdemokraten und Sozialisten, Liberale und Grüne unisono »für Europa« ein, jedoch konnte man kaum erkennen, wie ernst sie es damit meinten. Noch viel undeutlicher blieb, in welchen wichtigen europäischen Fragen sie sich voneinander unterschieden. Die Wähler sollten offenbar weder zwischen verschiedenen Konzepten für Europas Zukunft noch zwischen den dafür nötigen Führungspersonen entscheiden – weder das eine noch das andere stand jedenfalls zur Wahl. Also blieb den Wählern nur übrig, entweder aus Loyalität jeweils die Partei zu wählen, die sie immer schon gewählt hatten – oder der Wahl fernzubleiben, weil sie doch nichts entschied.
Die europapolitische Haltung (fast) aller Parteien ist immer noch unklar; unklar sind auch die Positionen der im Rat der EU vertretenen Regierungen.
Wer aber aus patriotischem Interesse den Fortschritt der Europäischen Union will, der muss jedenfalls den heute erkennbaren Gefahren entgegentreten. Nach einem halben Jahrhundert der schrittweisen Integration erscheint der weitere Fortschritt der EU unter drei Aspekten
Weitere Kostenlose Bücher