Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Brüsseler Kommissionsmitglieder muss beschränkt werden – zulasten sowohl der großen als auch der kleineren Länder; zum Beispiel schon der Beitritt Polens, Tschechiens, Ungarns plus Sloweniens und Estlands würde sonst die Zahl der Kommissare auf zwei Dutzend erhöhen – und jeder von ihnen würde ein Ressort und eine eigene Bürokratie erhalten, jeder von ihnen würde etwas bewirken wollen.
Der neue Kommissionspräsident Prodi scheint die Praxis seiner Behörde straffer zu ordnen als bisher. Innerhalb des Rates aber muss die qualifizierte Mehrheitsentscheidung zur Regel erklärt werden. Die »Stimmgewichte« der Ratsmitglieder müssen den tatsächlichen Größenverhältnissen der Staaten besser angepasst werden. All diese Reformen hat man im Amsterdamer Vertrag versäumt; im kommenden Jahre sollen diese leftovers auf einer Regierungskonferenz bewältigt werden. Dies kann jedoch nur dann gelingen, wenn Deutschland und Frankreich (das dann den Vorsitz innehaben wird) mit gemeinsamen Positionen auftreten. Danach wird alles abermals in einen neuen Vertrag einmünden.
Alle nötigen institutionellen Reformen (»Vertiefungen«) innerhalb der EU würden dann noch schwieriger werden, wenn vorher die Zahl der Mitgliedsländer von 15 auf zwanzig und sogar noch weiter steigen sollte. Deshalb ist es außenpolitischer Opportunismus, einem Dutzend beitrittswilliger Staaten die Aussicht auf baldige Beitrittsverhandlungen und einigen sogar auf baldigen Beitritt zu eröffnen. Es ist absolut leichtfertig, sogar darüber hinaus die Aufnahme weiterer Nachfolgestaaten von Titos Jugoslawien ins Auge zu fassen. Selbst im besten Falle werden die weiteren Konsequenzen der balkanischen Gewalttaten der letzten Jahre und des gegenseitigen Hasses dazu führen, dass im Südosten Europas de facto ein Flickenteppich von militärisch gesicherten UN -Protektoraten entsteht.
Rom konnte nicht an einem einzigen Tag erbaut werden. Das Gleiche gilt für Europa.
Die EU ist nicht reif für die Erweiterung ( 2000 )
In einem gemeinsamen Aufruf mahnten Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt im April 2000 die Union zu entschlossenen raschen Reformen. »Schon jetzt, mit nur 15 Mitgliedsstaaten, funktionieren die bestehenden Institutionen nicht sonderlich gut.« Wenn daran nichts Grundsätzliches geändert werde und die politischen Führer glaubten, die Probleme durch rasche Erweiterung der EU überdecken zu können, werde dies womöglich »zu einer Reihe schwerer Krisen« führen.
G egen Ende des letzten Jahrhunderts skizzierten die 15 Staats- und Regierungschefs ihre Pläne für die Europäische Union. Dabei setzten sie allerdings einen Fuß zu rasch und zu weit vor, während sie den anderen sehr vorsichtig nachschleifen ließen.
Über die laufenden Verhandlungen mit Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Slowenien, Estland und Zypern hinaus, die eine EU -Mitgliedschaft beantragt haben, beschlossen sie auch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Slowakei, mit Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien und Malta. Die Kommission erklärte sogar, gegen Ende des Jahres 2000 werde sie einen Zeitplan für die Aufnahme von sieben oder acht der Bewerberstaaten und für die jeweiligen Übergangsfristen aufstellen.
Keine Fortschritte erzielten Europas führende Politiker jedoch in dem entscheidenden Punkt, die Fähigkeit der Europäischen Union zur Aufnahme einer derart großen Zahl neuer Mitglieder zu verbessern.
Eine institutionelle Reform ist dringend erforderlich. Schon jetzt, mit nur 15 Mitgliedsstaaten, funktionieren die bestehenden Institutionen nicht sonderlich gut. Lässt man sie unverändert, werden sie überhaupt nicht mehr funktionieren, sobald die Zahl der Mitgliedsstaaten sich deutlich erhöht. Im übrigen wird sich eine solche institutionelle Reform noch erheblich schwieriger gestalten, wenn erst die Zahl der Mitgliedsländer weiter gewachsen ist.
Die unübersehbare Eile bei der Erweiterung der Union in Verbindung mit der Vernachlässigung institutioneller Reformen könnte zu einer Reihe schwerer Krisen im ersten Jahrzehnt des 21 . Jahrhunderts führen. Sie könnte auch dazu führen, dass die Union zu einer bloßen Freihandelszone mit einigen zusätzlichen Institutionen am Rande verkümmert.
Eine solche Verzerrung der Idee und des historisch einmaligen Ziels der Europäischen Einheit mag den Nationalisten in einigen Ländern gefallen. Vor allem aber würde sie in Washington jenen Kräften gefallen, die ein gewisses Maß
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