Mein Flirt mit der Blutfrau
einmal hoch. Über mir sah ich Juans Gesicht. Mir schien es, als würden Tränen in seinen Augen glitzern.
»Kopf hoch, Junge, wir schaffen das schon.«
Er sagte nichts, und ich stieg tiefer in die Finsternis des Schachts hinein. Es war nicht zum erstenmal, daß ich eine Reise wie diese hier unternahm. Schon öfter hatten tiefe Schächte oder Brunnen Geheimnisse verborgen, die meine Freunde und ich ans Tageslicht hatten zerren müssen.
Ich kam mir auch nicht vor wie ein forscher Hans-Dampf. Die Sicherheit, der richtige Tritt, das vorherige Abtasten, das war alles sehr, sehr wichtig.
Und so schluckte mich die Tiefe, die Erde und auch der alte, feuchte muffige Geruch, der die engen Schachtwände hochzusteigen schien, als wollte er eine Decke über mich werfen.
Noch ließ ich die Lampe ausgeschaltet. Hin und wieder warf ich einen Blick in die Höhe.
Die Rundung des Deckels wurde immer kleiner. Von Juan sah ich nichts. Er schaute mir auch nicht nach.
Ich hatte mir die Luft eigentlich schlechter vorgestellt. Okay, sie stank, aber sie war zu atmen.
Als ich zum erstenmal die Lampe einschaltete und in die Tiefe schaute, enthüllte mir der Lichtkreis den ersten großen Hoffnungsschimmer. Er hatte ein Ziel getroffen.
Soweit ich erkennen konnte, mußte es sich dabei um einen ebenfalls felsigen Boden handeln, denn der Boden glänzte dementsprechend. Die Steigeisen hielten auch weiterhin. Ich kletterte sogar schneller und schaffte es innerhalb kurzer Zeit, mit beiden Füßen fest aufzusetzen. Tief atmete ich durch. Ob Juan mir nachgeschaut hatte, war nicht mehr zu erkennen. Ich rief auch keine Erklärung den Schacht hoch und machte mich an die Untersuchung dieses unheimlichen Ortes. Daß ich in einer großen Höhle gelandet war, lag auf der Hand. Im breiten Strahl der Lampe inspizierte ich den Felsboden, der feucht schimmerte und auch moosige Stellen aufwies.
Obwohl die Höhle eine ziemlich hohe Decke besaß, kam ich mir vor wie in einer Gruft.
Alles wirkt eng und schmal. Die dunklen Wände schienen sich zu bewegen und auf mich zuzuwachsen.
Durch diesen Eindruck verstärkte sich automatisch das ungute Gefühl. Ich reagierte auf gewisse Dinge sehr sensibel. Hier spürte ich, daß einiges nicht stimmte.
Etwas hielt sich außer mir noch innerhalb der Höhle auf. Was es genau war, konnte ich nicht sagen. Auch als ich in die Runde leuchtete, war es nicht zu entdecken.
Es war jedenfalls vorhanden. Kein Mensch, dafür ein Fluidum. Etwas, das die Zeiten überdauert und sich in dieser Höhle manifestiert hatte. Jedenfalls war es nicht sichtbar, das traf natürlich auch auf Geister zu. Wurde ich möglicherweise von Geistern belauert und beobachtet?
Der Lichtkegel wanderte an den feuchten Felswänden entlang. Ich ließ ihn auch über den Boden streifen, ging selbst dabei vor und schrak zusammen, als ich ein anderes Ziel traf als nur den nackten Fels. Vor mir schimmerte etwas Helles. Es hob sich deutlich von dem dunkleren Untergrund ab.
Erst als ich fast heran war und es anleuchtete, konnte ich erkennen, um was es sich handelte.
Es waren Knochen.
Bleiche Gebeine, nicht sehr groß. Sie stammten auch rücht von einem Menschen.
Mir fiel natürlich sofort ein, welch einen Auftrag Juan von der Blutfrau bekommen hatte. Er war losgeschickt worden, um Nahrung zu besorgen. Das hatte er getan, und Lavinia di Luna hatte sich tatsächlich von den Tieren ernährt. Zurückgeblieben waren ihre Knochen, die im Licht der Lampe bleich schimmerten.
Nun ja, da hatte ich den Beweis bekommen. Es waren nicht die einzigen makabren Reste, die ich fand. Auch ein paar Meter weiter lagen die schaurigen Erinnerungen.
Hier also hatte die Blutfrau die Jahrhunderte überlebt. Ein nach außen hin perfekter Körper. Innerhalb jedoch verfault und vermodert, gefüllt mit Würmern und anderem Kriechgetier.
Furchtbar…
Ich verscheuchte meine Gedanken an die Blutfrau und wanderte weiter, immer von dem Gefühl begleitet, unter Beobachtung zu stehen, obwohl ich niemanden sah.
Halbhoch ließ ich den Strahl kreisen und schwenken, bis er auf etwas Schwarzes, Glänzendes traf.
Zuerst dachte ich an die Felswand, dafür aber war das Gestein einfach zu glatt.
Mit drei kleinen Schritten hatte ich das neue Ziel erreicht — und bekam große Augen.
Vor mir stand ein Altar!
Aus schwarzem Stein gefertigt. Glatt wie ein Spiegel. Vielleicht knapp über zwei Meter lang. In der Höhe erreichte er meine Oberschenkel. Breit war er nicht ganz einen Meter.
Rin Altar
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