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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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militärisch-industriellen Komplex gesetzt, gegenüber einer Anzeige zu Ehren des Jahrestags der kommunistischen Revolution in Bulgarien. »Bekenntnisse einer Landärztin« von S. M. Haque. Sie hatte über ein großartiger klingendes Pseudonym nachgedacht, aber ihr war nichts eingefallen. Die Zeit vor Ammus Diagnose schien bereits sehr weit zurückzuliegen. Sie hatte mit Nazias Geschichte angefangen; jetzt fragte sie sich, welchem Thema sie sich als nächstem widmen sollte. Das Leben hier in Dhaka, die Rückkehr in den Bungalow, hatte Dämme brechen lassen, die sie sorgfältig gegen die Erinnerungen errichtet hatte: Erinnerungen an die Vergangenheit, an ihren Bruder, an den Krieg. Sie dachte an die Zusammenkunft mit Jahanara Imam und wie sie aus dem Raum gestürmt war. Und warum. An das Filmvorführgerät im Gartenhaus. Ich kannte einmal eine junge Frau, die hieß Piya.

    *

    Sie hatte sich von Zaid Läuse geholt. Im Krankenhaus teilte Rehana Mayas Haare, betupfte die Kopfhaut mit Petroleum und machte Jagd auf die weißen Läuseeier.
    »Jetzt hör doch mal auf, Ammu, das kann doch auch Sufia später machen. Du mußt dich jetzt auf deine Operation vorbereiten.«
    In der Ecke schluchzte Sufia untröstlich. »Was soll ich nur tun, wenn Sie sterben?« klagte sie. »Was soll dann aus mir werden?«
    Maya hörte ihre Mutter hinter ihrem Rücken seufzen. »Ich sterbe noch lange nicht. Du bist bestimmt lange vor mir tot.« Nachdem sie Mayas Haare ausgiebig eingeölt und abgesucht hatte, ging sie mit einem feinzinkigen Nissenkamm hindurch.
    Sufia zeigte auf Maya. »Die mag mich nicht. Die würde mich in einer halben Sekunde auf die Straße setzen.«
    »Sie tut nur so unfreundlich«, sagte Rehana, wobei sie Mayas Haare in ein Handtuch auskämmte. »Innerlich ist sie weich wie Reispudding. Maya, jetzt sieh dir das an. Alles völlig verlaust.«
    Maya drehte sich zu ihr um und sah vereinzelte kleine schwarze Insekten auf dem Handtuch. Rehana zerquetschte jedes einzeln zwischen den Fingernägeln.
    »Widerlich«, sagte Maya. »Nicht zu fassen, wie schnell die sich ausgebreitet haben.«
    »Weil du nicht sofort was dagegen unternommen hast.«
    »Der kleine Drecksbengel. Der kriegt eine Tracht Prügel von mir.«
    Rehana faßte mit beiden Händen nach Mayas Gesicht und drückte es ein wenig. »Sag so was nicht. Niemals. Hörst du?« sagte sie.
    »Tut mir leid, Ma – nur manchmal weiß ich wirklich nicht, was ich mit ihm machen soll.« An diesem Morgen hatte er ihr versprechen müssen, daß er seine Lektionen schön üben würde, aber er wollte unbedingt zum Friedhof fahren, damit er seine Mutter wieder um das Fahrrad bitten konnte. Und auf dem Rückweg hatte er Maya verärgert, weil er unbedingt auf die Schule, auf die richtige Schule gehen wollte. Aber gefällt’s dir denn nicht auf der Maya-Schule, hatte sie im Scherz gefragt. Er hatte den Kopf geschüttelt. Die ist nicht richtig, hatte er gesagt. Nicht so gut.
    »Sie hat noch kein Wort mit mir gesprochen, seit sie angekommen ist«, sagte Sufia und schneuzte sich die Nase.
    Rehana hatte Mayas Haare fertig ausgekämmt und flocht sie jetzt zu einem Zopf. »Es ist ein Routineeingriff«, sagte Mayabeim Aufstehen ungeduldig und strich sich den Kamiz glatt. »Ihr passiert gar nichts.«
    »Ich glaube nicht, daß sie weiß, was ein Routineeingriff ist, Maya.«
    »Ich fass’ es nicht«, stöhnte Maya. Sie stürmte aus dem Zimmer und lief durch die Krankenhausgänge, bis sie fand, was sie gesucht hatte: einen Medizinstudenten. »Entschuldigung«, sagte sie, »darf ich das mal kurz ausleihen?« Und sie zog dem jungen Mann das Stethoskop vom Hals, bevor er protestieren konnte. »Ich bring’s gleich zurück«, sagte sie und eilte zurück an Ammus Bett. »Sufia, komm her.«
    Sufia näherte sich ihnen nur zögerlich. Maya legte Ammu die Metallscheibe des Stethoskops an die Brust und ließ Sufia hören. »Hörst du das? Das ist ihr Herz.«
    Sufia riß die Augen auf. »Stark.«
    »Stark wie ein Ochse«, sagte Rehana, »mir können sie nichts anhaben.«
    »So eine Operation dauert zwei, maximal drei Stunden«, wiederholte Maya die Sätze, die sie sich selbst ständig vorsagte. »Dr. Sattar ist einer der besten Chirurgen im Land.«
    Rehana legte ihre Hand, in der eine Kanüle steckte, auf Mayas Hand. »Sprich den Thronvers mit mir.«
    Maya wandte sich ab und blickte zu der Stelle, an der sich der dünne Vorhang rund um Rehanas Krankenbett öffnete; auf dem Gang waren Krankenschwestern zu sehen, die

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