Mein Freund, der Mörder Kommissar Morry
Regen hinein. Schluß, dachte er. Das reicht für heute. Ich bin am Ende mit meinen Nerven. Wenn ich nicht sofort eine Schnapsflasche zwischen die Zähne bekomme, werde ich verrückt. Er spürte plötzlich ein heißes Verlangen nach lärmender Geselligkeit, nach Licht und Wärme. Vielleicht hatte die Chinesenschenke am Hafen noch offen. Vielleicht fand er auch in dem Klub der Achtzehn Einlaß. Auf jeden Fall mußte er es versuchen. Ueberall glaubte er sich sicherer als hier. Er schlich hart am Schleusenhaus vorüber, rüttelte noch einmal an der Tür, dann wandte er sich dem Millwall Dock zu. Fünf, sechs Schritte kam er ungehindert voran. Er sah nichts als die grauen Regenschnüre, die schräg an den Laternen vorüberzogen. Plötzlich jedoch tauchte wieder dieser unheimliche Schatten vor ihm auf. Er hatte das entsetzliche Gefühl, als stünde der Tod persönlich vor ihm. So stumm, so gespenstisch trat die dunkle Gestalt auf ihn zu. Alles weitere vollzog sich in Sekundenschnelle.
Noch ehe Rex Coombe einen klaren Gedanken fassen konnte, zerriß der schwarze Mantel der Nacht unter einem stechenden Feuerblitz. Dumpf rollte der Donner eines Schusses durch das Gemäuer, erweckte ein zehnfaches Echo.
Schrill brach sich der Hilfeschrei Rex Coombes an den Wänden. Es war ein irrer, erstickter Laut, wie ihn nur höchste Todesangst erzeugen kann. Rex Coombe drehte sich wie ein Kreisel, suchte tappend nach einem Halt, fiel vornüber und klatschte schwer in den Schlamm. Das gequälte Herz krampfte sich zusammen, als hielte es eine würgende Faust umkrallt. E,s jagte noch einen heißen Blutstoß durch die Adern, dann war seine Kraft erschöpft. Es stand für immer still.
6
Der donnernde Schuß riß Ray Mortimer aus unruhigem Halbschlaf. Er fuhr benommen von seinem Lager hoch. Hastig trat er ans Fenster und spähte in die trostlose Regennacht hinaus. Schon ein paar Sekunden später prallte er betroffen vom Fenster zurück. Ein hartes Pochen an der Tür ließ ihn jäh herumfahren.
„Wer ist da?“ rief er heiser.
„Mara“ klang es vom Korridor. „Mach auf, Ray! Bitte, laß mich ein!“
Ray Mortimer schob hastig den Riegel zurück und öffnete die Tür. Draußen, im ungewissen Dämmerlicht des Flurs, stand Mara Revell. Sie hatte kaum etwas an. Ihre Haut schimmerte wie dunkle Bronze durch die Dunkelheit. Weich verdämmerten die dunklen Umrisse ihrer nackten Schultern. Ray Mortimer starrte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. Sie war schön und rassig und verführerisch wie nie zuvor. Im ersten Impuls wollte er sie in seine Arme reißen und in ihrer Nähe Vergessen finden.
Aber er überwand den Rausch dieser Sekunden. „Zieh dich an“, befahl er herb.
Mara Revell schien nicht verstanden zu haben. Sie klammerte sich an ihn. Stoßweise brach der Atem von ihren Lippen.
„Hast du es gehört, Ray?“ fragte sie bebend.
„Das war doch ein Schuß, nicht wahr? Ein Schuß unmittelbar vor dem Haus. So sag doch endlich etwas!“
„Zieh dich an!“ wiederholte Ray Mortimer tonlos. „Wir werden hinunter gehen. Ich mache mich jetzt schon auf das Schlimmste gefaßt.“
Drei Minuten später stiegen sie hintereinander die schmale Treppe hinunter. Sie waren beide von der gleichen Unruhe erfüllt. Beklemmend und lähmend stand das Schweigen zwischen ihnen. Wie eine Faust saß ihnen die Furcht im Nacken.
Mara Revell hantierte zitternd mit dem Schlüssel am Schloß herum. Es dauerte eine geraume Weile, bis ihre flatternden Hände zum Ziel gelangten. Dann endlich öffnete sich die Tür ins Freie. Fröstelnd schauerte sie zusammen. Eiskalt und stürmisch trieb ihr der Regen ins Gesicht. Ein heftiger Windstoß zerrte an ihrem dünnen Kleid. Die Nacht war dunkel und ohne einen tröstenden Lichtschein. Langsam tappte sie neben Ray Mortimer durch die dunkle Gasse. Links war das Millwall Dock, rechts der Schleusenkanal. Das Pflaster glänzte naß und klebrig. Dann plötzlich ein dunkler Fleck. Ein plumpes Bündel. Es regte sich nicht.
„Komm näher!“ raunte Ray Mortimer nervös. „Wir müssen wissen, wer es ist. Der Tod scheint unsere Nachbarschaft zu lieben. Er ist immer da, wo wir sind.“
Verstört beugte er sich über das schwarze Bündel. Er riß ein Streichholz an und schirmte es mit beiden Händen gegen den Regen ab. Zuckend huschte der Widerschein der unruhigen Flamme über ein starres Gesicht. Das Licht spiegelte sich in zwei stumpfen gebrochenen Augen.
„Rex Coombe! Man hat ihn erschossen. Ihm kann auch
Weitere Kostenlose Bücher