Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
da wir zu der exakt gleichen Zeit schon im Vorjahr aufgeflogen waren.
Ein paar Tage später rief Mr. Rathbun mich in ihr Büro. Sie erklärte, ein E-Meter-kontrolliertes Interview mit mir durchführen zu wollen, und stellte alle möglichen sonderbaren Fragen, etwa über die Münzsammlung meiner Eltern oder darüber, ob ich die Fotos kannte, die sie mir vorlegte. Laut Mr. Rathbun stammten die Aufnahmen von einer Filmrolle, die ich meinem Vater geschickt hatte. Auf einem der Bilder war meine Mitbewohnerin Mayra versehentlich in Unterwäsche und T-Shirt zu sehen. Über mehrere Monate hinweg hatte ich eine Reihe von Fotos gemacht und die volle Rolle anschließend meinem Vater zum Entwickeln geschickt. Ich war ein wenig irritiert, woher sie die Bilder hatte, aber mehr als ihre eigentümlichen Fragen wunderte mich noch, dass sie mich überhaupt nicht nach Martino fragte. Ich nahm mir vor, so gut ich nur konnte zu kooperieren, um ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihn zu lenken.
Alles in allem verlief das Interview ungewöhnlich reibungslos, und Mr. Rathbun erklärte am Ende, sie würde sich bei mir melden, wenn sie noch weitere Fragen hätte. Am besten gefiel mir, dass sie keine einzige Frage zu Martino gestellt hatte.
Unglücklicherweise rief sie mich am folgenden Tag erneut zu sich. Diesmal wurde sie schnell persönlicher und wollte wissen, ob ich etwas verheimlichen würde, also genau die Fragen, von denen ich am Tag zuvor zu meiner Freude verschont geblieben war. Die Geschichte mit Martino schien ihr noch nicht zu Ohren gekommen zu sein, stattdessen fragte sie mich über meine Eltern aus. Ich versuchte ihren Fragen auszuweichen, womit ich jedoch weder bei ihr noch beim E-Meter durchkam.
»Ich werde herausfinden, was du verheimlichst«, erklärte sie in Unheil verkündendem Ton.
Nach diversen Stunden eindringlicher Befragung brach ich schließlich zusammen und gestand, Martino geküsst zu haben. Zuerst wollte sie wissen, warum ich glaubte, das verheimlichen zu müssen. Ich hielt das für eine ziemlich dämliche Frage. Dann quetschte sie jede kleinste Einzelheit aus mir heraus: Wie nah wir uns gekommen waren, als wir uns geküsst hatten. Wie lange es gedauert hatte. Was meine Absichten waren. Wie es dazu hatte kommen können. Jede noch so winzige Überlegung und Handlung. All diese Details über einen solch intimen Moment preiszugeben, tat unglaublich weh. Derart persönliche Dinge sollten außer mir niemanden etwas angehen. Ganz abgesehen davon, dass uns ohne Tante Shelly und Mr. Rathbuns voreingenommene Haltung gegen Martino das Küssen ja erlaubt gewesen wäre. Out 2D betraf nur heftiges Petting und Sex, daher wusste ich gar nicht, warum ich dieser eingehenden Vernehmung unterzogen wurde.
Ich war mir sicher, tief in Schwierigkeiten zu stecken, aber am Ende sagte Mr. Rathbun nur, ich könne an meine Arbeit zurück. Keineswegs beruhigt erzählte ich Martino von der Sitzung. Er schien sich zwar ein wenig Sorgen um mich zu machen, gab jedoch ansonsten vor, sich nicht weiter für ihre Meinung zu interessieren. Er fand, wir taten nichts Falsches, also bestand auch kein Anlass, etwas zu befürchten. Zwei Tage gingen vorüber, und ich glaubte schon, clear zu sein, da wurde ich erneut einbestellt. Diesmal teilte Mr. Rathbun mir mit, ich würde einen weiteren mehrwöchigen Security-Check durchlaufen.
Der erste Withhold, den ich für den Sec-Check gestand, war das Bauchnabelpiercing, das ich mir ein paar Wochen zuvor während meines ersten freien Tags seit Monaten hatte machen lassen. Ich hatte es mir zum sechzehnten Geburtstag gewünscht und war von meinen Cousins, einigen von deren Freunden sowie von meiner Tante Denise begleitet worden, die sich als meine Mutter ausgegeben und die Einwilligung unterschrieben hatte. Meine Großmutter hatte mich noch gewarnt, dass ich Ärger bekommen würde, aber ich hatte es trotzdem getan.
Merkwürdigerweise schien Mr. Rathbun keine Einwände zu haben, und ihre Aussagen zu Martino klangen sogar noch besser.
»Leg einfach nur eine kleine Pause mit ihm ein, Jenna«, erklärte sie mir. »Nur solange der Security-Check läuft, danach könnt ihr beide wieder da weitermachen, wo ihr aufgehört habt.«
Ich konnte nicht fassen, dass sie das tatsächlich gesagt hatte. So schmerzlich es auch sein würde, ihn eine Weile nicht treffen zu dürfen, wenn das im Gegenzug bedeutete, dass Martino und ich in ein paar Wochen diese Heimlichtuereien endlich aufgeben konnten, dann war es das allemal wert. Bei
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