Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
der nächsten Gelegenheit überbrachte ich Martino die Neuigkeit. Er war genervt und niedergeschlagen, dass wir warten mussten, aber ich versicherte ihm, ich würde die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ohne große Begeisterung willigte er ein.
Ein paar Tage später sah ich ihn in Begleitung seiner Mutter, einer temperamentvollen Italienerin mit einer beeindruckenden Ausstrahlung. Sie flüsterte mir ins Ohr, ich solle stark bleiben und mich nicht verunsichern lassen, weil schlechte Menschen sich als Zielscheibe immer die guten aussuchen würden. Nachdem sie mich umarmt hatte, drückte Martino mir mit einem traurigen Lächeln die Hand, bat mich, den Security-Check schnell hinter mich zu bringen, und ging davon. Es war das letzte Mal, dass ich ihn sehen sollte.
An diesem Nachmittag hatte Mr. Rathbun eine Überraschung für mich. In ihrem Büro warteten bereits meine beiden Vorgesetzten, mein CO und der Betriebsleiter. Mr. Rathbun fuhr mich auf die gleiche Weise an wie Tante Shelly einst und sagte, ich sei völlig out ethics und gehöre ins RPF . Ich verstand überhaupt nicht, was sich seit unserem letzten Treffen geändert hatte. Sie war plötzlich von verletzender Schärfe. In unmissverständlichen Worten machte sie mir klar, dass meine sogenannten Freunde mich nur wegen meines Namens mochten und dass ich in meinem Innersten ein Rock Slammer sei, der bislang bloß unentdeckt geblieben wäre. Sie war nicht wiederzuerkennen. Ich fühlte mich von ihr getäuscht.
Mr. Rathbun ordnete an, dass ich mit sofortiger Wirkung rund um die Uhr unter Beobachtung stand und wieder eine CMO EPF -Uniform tragen musste, obwohl ich eigentlich nicht im EPF war.
Unter den Augen der neuen Leiterin der Abteilung musste ich daraufhin endlos Toiletten und Treppenaufgänge putzen. Stundenlang stand sie im Treppenhaus oder den Toilettenräumen herum, während ich saubermachte. Später verlor sie jedoch ihren Posten und wurde ersetzt, weil herausgekommen war, dass sie sich mit mir anzufreunden begann und mir zum Zeitvertreib sogar Geschichten aus Harry Potter erzählte.
So verärgert ich auch war, ich hatte meine Emotionen weitaus besser unter Kontrolle als nach dem Brief an Tante Shelly, in dem ich um Rückversetzung zu den Kadetten gebeten hatte. Ich war gerade so zufrieden mit meiner Lebenssituation gewesen, dass ich schon allein deswegen nur meine Aufgaben erfüllen und möglichst rasch zur Normalität zurückkehren wollte. Ich tat einfach, was ich tun musste, damit sie mich früher oder später wieder zu Martino und meinem alten Leben zurückkehren ließen.
Eine Sache machte mir bei meiner Bestrafung allerdings doch zu schaffen: Ich verstand nicht, womit ich sie verdient hatte. Ich mochte die Sache mit Martino verheimlicht haben, zugegeben, aber auch hier stand die Tat erneut in keinem Verhältnis zur Strafe. Kein Scientology-Gesetz war verletzt worden, ich hatte lediglich die Bemerkungen von Tante Shelly und Mr. Rathbun nicht beherzigt. Ja, ich hatte Martino getroffen, und ja, ich hatte mir den Nabel piercen lassen, aber das alles verstieß nicht gegen die Regeln. In meinem Job hatte ich gelegentlich ein wenig gebummelt, statt zu arbeiten, aber nie mehr als die anderen. Doch denen hing das RTC nicht ständig im Nacken, um bei jeder Unaufmerksamkeit gleich Security-Checks anzuordnen. Warum also mir?
Wenn ich nicht putzte, absolvierte ich zermürbende Sitzungen bei Mr. Rathbun. Ein Großteil der Fragen war extra auf mich zugeschnitten: Hast du deinen Namen in unangemessener Weise dazu benutzt, deinen Willen durchzusetzen? Verfolgst du böse Absichten hinsichtlich deines Onkels? Für die Church stellten Security-Checks den wichtigsten Kontrollmechanismus dar. Sämtliche Sitzungen wurden auf Video aufgezeichnet. Meist benutzten sie Security-Checks, um jemanden für eine Rückkehr auf die Brücke vorzubereiten. In meinem Fall sollte sie mich jedoch davon abhalten, aus der Reihe zu tanzen. Ich erhielt Checks, weil ich zu viel redete, widersprach, schwierig war oder mich regelmäßig aufregte, was ARC Breaky genannt wurde. Zwischen zwölf und fünfzehn durchlief ich wenigstens acht Security-Checks. Ich kannte niemanden in meiner Umgebung, der in einem solch kurzen Zeitraum auf diese hohe Zahl gekommen war, abgesehen natürlich von denen, die im RPF gelandet waren. Ich hasste Security-Checks und begriff nie, warum ich so viele davon bekam.
Sobald sich jemand ärgerte oder mit Dingen innerhalb der Organisation nicht
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