Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Sharni auf mich. Im Verlauf meines Kursaufenthalts verbrachte sie so viel Zeit mit mir, dass ich sie rasch nicht mehr als Babysitter betrachtete, sondern eher als ältere Schwester. Wir gingen abends im Pool schwimmen oder sahen uns manchmal Musikvideos auf VH 1 oder MTV an. Da das Personal eigentlich keinen Fernseher haben durfte, war das für uns die Gelegenheit fernzusehen, ohne Ärger zu bekommen. Wenn es jemand erfuhr, konnte Sharni einfach sagen, sie hätte mir zuliebe mitgeguckt.
Sharni hatte noch andere Pflichten, als auf mich aufzupassen. Mit ein paar weiteren Mädchen musste sie sich um die Wäsche von Mom, Alison und anderen wichtigen Führungskräften kümmern. Außerdem mussten sie die Wohnungen und Büros sauber halten, dafür sorgen, dass die Mahlzeiten angeliefert wurden und dass die Führungskräfte den ganzen Tag mit Snacks versorgt waren. Normalerweise war Sharni mit ihrer Arbeit fertig, wenn ich nach Hause kam, aber wenn sie noch zu tun hatte, half ich ihr manchmal.
Wenn ich Sharni bei der Arbeit beobachtete, meinte ich, kleine Eindrücke davon zu bekommen, wie man als Sea Org-Mitglied lebte. Unwillkürlich stellte ich mir vor, dass ihre Pflichten eines Tages die meinen wären. Wenn ich Sharni half, tat ich so, als wäre ich ein richtiger Mitarbeiter. Es war zweifellos ein angesehener Posten, die Führungskräfte zu versorgen, und Sharni nahm ihn sehr ernst. Da ich samstags keinen Kurs hatte, verbrachte ich den Tag oft mit Sharni. Häufig besuchten wir meine Großmutter Loretta, die kurz zuvor von New Hampshire nach Clearwater gezogen war. Ich hatte nie viel Zeit mit ihr verbracht, aber sehr schnell begann ich es zu genießen. An einem Wochenende kamen auch Lorettas Eltern, meine Urgroßeltern Dorothy und Ralph, zu Besuch. Meine Urgroßmutter mochte ich, aber mein Urgroßvater Ralph war ein knorriger Griesgram, der ständig Kommentare brüllte, was mir Angst machte. Er war zwar nicht unhöflich, aber seine barsche, schroffe Art schüchterte mich ein. Rückblickend erkenne ich, dass er wahrscheinlich nur nett sein und mit mir reden wollte, aber einfach nicht merkte, wie laut er sprach.
Ich wusste von meinen Urgroßeltern, dass sie Katholiken waren. Wenn wir uns an den Tisch setzten, beteten sie vor dem Essen, was auf mich befremdlich wirkte. Ich wusste nicht, wie genau man sich zu verhalten hatte, daher wartete ich einfach nur unbehaglich, bis es vorbei war. Dad hatte mir lediglich geraten, niemals »Herrgott noch mal!« oder »Gottverdammt!« zu sagen. Aber von Gebeten hatte er nichts erzählt.
Ich begegnete den beiden mit einer gewissen Vorsicht, schließlich waren sie Wogs. Ich wusste nie genau, was ich sagen durfte und was nicht. Auf der Ranch hatten wir unsere Shore Story eingeübt, die Geschichte, die wir Wogs erzählen sollten, wenn sie uns Fragen stellten. Der Begriff stammte aus der Zeit, in der die Sea Org noch von Schiffen aus operiert hatte und vermeiden wollte, dass ihr genauer Aufenthaltsort bekannt wurde. Also wurde eine Geschichte für Außenstehende am Festland – englisch shore – erfunden. Die ShoreStory für die Kadetten der Sea Org lautete, dass wir auf eine Privatschule namens Castile Canyon Ranch School gingen. Aber meine Urgroßeltern fragten nicht weiter nach. Sie waren es gewohnt, dass ihre Familie mit der Church und insbesondere mit der Sea Org zu tun hatte – schließlich war David Miscavige ihr Enkel.
Während ihres Besuchs wollten meine Urgroßeltern mit mir nach Disney World, aber ich war dagegen. Ich kannte sie noch nicht so gut, dass ich mit ihnen allein sein wollte. Als ich Dad bei einem Telefonat davon erzählte, wurde er wütend auf mich und befahl mir, mit ihnen zu fahren, sonst wäre das schlechte PR für die Familie. Das war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich auf Anordnung Zeit mit Nicht-Scientologen verbrachte. Aufgrund meiner Erziehung war ich mehr als vorsichtig gegenüber Wogs, selbst wenn sie so großzügig und wohlwollend waren wie meine Urgroßeltern. Es war nicht zu befürchten, dass sie Scientology verleumden würden. Doch als meine Mutter mich weinen sah, erlaubte sie mir, Sharni mitzunehmen, und damit ging es mir deutlich besser.
Die Clay Table-Sitzungen dauerten Wochen. Je tiefer wir in die Materie eindrangen, desto näher sollten wir Erkenntnissen kommen, die als Endphenomena bezeichnet wurden und sich als Gewinn, als regelmäßig ausschlagende Nadel oder höchst ethische Absicht zeigten. Aber ich gelangte nie so weit. Bei Scientology
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