Mein Geliebter, mein Prinz
Bruder Gianferro trotzdem sofort erkannt.
Äußerlich wirkten sie anständig. Beide angezogen, die Sachen nicht in Unordnung. Dessen ungeachtet musste Gianferro klar sein, was sich vor Kurzem in diesem Raum ereignet hatte. Ella spürte, dass ihr Gesicht förmlich glühte, und die knisternde Spannung zwischen Nico und ihr war beinah greifbar. Der Kronprinz musterte Ella abschätzend, sodass sie wünschte, der Boden würde sich auftun und sie verschlucken.
„Entschuldigung“, sagte er eisig und sah Nico an. „Offenbar komme ich ungelegen.“
Kein bisschen peinlich berührt, erwiderte Nico den missbilligenden Blick. Warum sollte er sich schämen? Er war kein Kind mehr, und sein Bruder hatte nicht die Aufgabe seines Wächters übernommen! Wenn Gianferro so hereinplatzte, musste er eben damit rechnen, etwas vorzufinden, das ihm nicht gefiel.
„Gianferro, ich möchte dir Ella Scott vorstellen“, sagte Nico so gelassen, als hätte er gerade Tee mit ihr getrunken. „Sie wird uns mit ihren touristischen Fachkenntnissen beraten. Ella, das ist mein Bruder, Kronprinz Gianferro.“
Der Thronfolger nickte ihr kühl zu, woraufhin Ella einen gequälten Blick in Nicos Richtung warf. War ein Knicks angebracht oder was? Nico verstand und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Und was ist Ihr spezielles Fachgebiet, Miss Scott?“, erkundigte sich der Kronprinz spöttisch.
Sie wusste, was er andeutete, und schämte sich halb zu Tode. Worauf es jetzt ankommt, das ist Anpassungsfähigkeit, sagte sich Ella. Sie konnte nicht so tun, als wäre es nicht passiert, aber sie konnte damit fertig werden. Schließlich hatte sie kein Verbrechen begangen, und sie war nicht Gianferros Untertanin.
„Ich habe mich auf den Klein-ist-schön-Markt spezialisiert, Euer Hoheit“, erwiderte sie ruhig. „Was ja Mardivino einschließt, meinen Sie nicht?“
Nico betrachtete sie bewundernd. Die meisten Frauen wären rot geworden und hätten herumgestottert. Gerade hatte Nico sich einmischen und Ella vor Gianferros kaum verhohlener Feindseligkeit beschützen wollen. Jetzt war ihm jedoch klar, dass Ella prima auf sich selbst aufpassen konnte.
„Mein Bruder hat mir nicht mitgeteilt, wie lange Sie bleiben werden.“
„Weil ich mich noch nicht entschieden habe. Erst muss ich feststellen, wie viel Zeit ich für die Arbeit hier brauche. Ich habe keinen Vertrag unterschrieben.“ Ella sah seine überraschte Miene. Und Nicos. Vermutlich waren sie beide nicht daran gewöhnt, Leute zu beschäftigen, die selbst Entscheidungen trafen. „Sie können jedoch sicher sein, dass ich meine Aufgabe so schnell wie möglich abschließen werde“, sprach sie freundlich weiter und sah, wie Nico wütend die Augen zusammenkniff. Er wollte das Sagen haben. Und sie würde es nicht zulassen.
„Freut mich sehr, das zu hören.“ Gianferro warf Nico einen unergründlichen Blick zu. „Kann ich dich für einen Moment allein sprechen, Nicolo?“
Nico zog die Augenbrauen hoch. „Wie du siehst, habe ich hier zu tun.“
Warum versucht Gianferro, seinen Bruder aus dem Büro zu bekommen? Weil er ihn davor warnen will, mit mir zu schlafen? Tja, die Worte kann er sich sparen! Ella schlug das Buch zu und nahm es vom Schreibtisch. Irgendwie brachte sie ein kühles, professionelles Lächeln zustande. „Ich wollte gerade gehen. Nico ist heute nur mit mir hierhergekommen, um mich in meine Aufgabe einzuweisen. In Zukunft werde ich allein arbeiten. Ganz sicher muss ich nicht noch mehr von Nicos Zeit verschwenden.“
Er presste die Lippen aufeinander. Gekonnt spielte sie mit ihm, da sie genau wusste, dass er in Gegenwart seines Bruders nichts dagegen unternehmen konnte. Was fiel ihr eigentlich ein? „Noch etwas, Gianferro?“
„Wir sehen uns beim Abendessen.“
Nico schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht.“
Schweigen.
„Könntest du mir dann vielleicht irgendwann in diesem Jahr einen Termin einräumen?“, erwiderte Gianferro sarkastisch und verließ das Zimmer.
Sobald der Kronprinz die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging Ella wütend auf Nico zu. „Wie kannst du es wagen, mich so einer Demütigung auszusetzen?“
„Ich habe nicht damit gerechnet, dass mein Bruder hereinkommt“, sagte er trocken.
„Nein?“
„Natürlich nicht. Sonst hätte ich vorsichtshalber abgeschlossen.“
Ella musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuschreien. Reumütig sah Nico keineswegs aus, sondern lediglich verärgert, als wäre er um sein Vergnügen gebracht worden. Was zutraf,
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