Mein geliebter Ritter
zusammenhielt. Sobald sie den ersten entfaltet hatte, erkannte sie Alains Siegel und Unterschrift am unteren Rand. Das Pergament war entlang der Knickfalte gerissen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie versuchte, die Worte zu entziffern.
»Erzähl es mir, François.«
»Er bittet Großvater, uns zu ihm zu schicken«, sagte François leise. »Er schreibt auch, dass der Bote genügend Geld bei sich trägt, um für unsere Reise zu bezahlen – oder für unseren Unterhalt, sollte Großvater sich wieder weigern.«
»Wieder?«
»Offenbar sind das nicht alle Briefe«, sagte François. »Bloß die, die er nach London geschickt hat.«
François zog einen prall gefüllten Ledersack unter der Bank hervor und löste die Riemen, mit denen er zugebunden war. Goldmünzen schimmerten und klimperten, als er sie auf den niedrigen Tisch vor ihnen schüttete. Zwei oder drei Münzen rutschten vom Tisch und rollten über den Boden.
»Großvater hatte so viel Gold hier in London?«
Françcois nickte finster.
»Aber … wir hätten unsere Schulden damit bezahlen können. Wir hätten nicht mitten in der Nacht fliehen müssen. Wir …« Sie schloss die Augen und presste die Fingerspitzen an die Stirn. Ihr ganzes Leid war unnötig gewesen.
»Großvater war ein wohlhabender Mann und brauchte das Geld unseres Vaters nicht – jedenfalls lange Zeit nicht«, sagte François. »Als wir es dann brauchten, hatte er es wahrscheinlich vergessen.«
Sie nickte. »Sein Erinnerungsvermögen wurde in den letzten beiden Jahren immer schlechter.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Aber warum hat Alain uns nie erzählt, dass er sich doch um uns gekümmert hat?«
»Vielleicht aus Stolz.« François zuckte die Achseln. »Möglicherweise war ihm nicht bewusst, dass wir keinen Nutzen aus dem Geld gezogen haben.«
Linnet legte die Hände auf die Briefe, die in ihrem Schoß verstreut waren. Wenn sie das gewusst hätte, hätte das ihr Leben verändert. Sie war wütend, solange sie sich erinnern konnte. Wütend, dass ihr Vater ihre schwangere Mutter verlassen hatte, ohne sich um sie zu kümmern. Wütend, dass er seine unehelichen Kinder seiner Aufmerksamkeit nicht für nötig befand und schon gar nicht seiner finanziellen Unterstützung.
Sie würde ihre frühen Jahre mit ihrem Großvater nicht gegen das eingeschränkte Leben der Tochter eines Edelmannes eintauschen wollen. Aber wenn sie von den Briefen gewusst hätte, hätte sie in den letzten Jahren sicher andere Entscheidungen getroffen. Wenn sie geahnt hätte, dass er versucht hatte, sie zu unterstützen und in seinen Haushalt zu holen, hätte sie sich nicht gezwungen gesehen, ihn dafür zu bestrafen, dass er sie im Stich gelassen hatte.
Dann würde sie nicht ständig davon ausgehen, dass alle, die ihr wichtig waren, sie verließen. Alle außer François, natürlich. Er war die einzige Person, von der sie immer geglaubt hatte, dass er sie genug liebte, um sie nie im Stich zu lassen.
Vielleicht hätte sie Jamie vertraut.
»Er hat mir erzählt, er habe versucht, uns zu finden, nachdem Großvater gestorben war«, sagte François. »Als er keine Spur von uns entdeckte, nahm er an, wir wären während der Belagerung ums Leben gekommen.«
»Wo hast du das Gold und die Briefe gefunden?«, fragte sie.
Zum ersten Mal, seit er ihr die Briefe überreicht hatte, grinste François. Mit blitzenden Augen sagte er: »Erinnerst du dich an diesen kleinen Lockenkopf, den du in Mychells Haus gefunden hast?«
»Aye, seine Tochter Lily.«
»Also, Lily und ihre Schwester Rose erschienen vor deiner Tür, als du in Leicester warst«, sagte er. »Sie hatten deinen Ring.«
Linnet lachte. »Lily hat die Briefe gefunden, stimmt’s?«
»Genau. Sie waren in einer Nische in der Wand des Ladens versteckt, hinter einem Ziegelstein.«
»Was für ein cleveres Mädchen.« Linnet schüttelte den Kopf. »Woher wusste sie, dass sie uns gehörten?«
»Ob du’s glaubst oder nicht: Ihre Schwester kann lesen.«
»Nicht halb so überraschend wie die Tatsache, dass ihr diebischer Vater seine Töchter nach Blumen benannt hat.«
»Lily, die kleine Göre, wollte die Briefe an uns zurückgeben, das Gold allerdings behalten. Sie hat versucht, ihre Schwester davon zu überzeugen, dass du so viel Geld hast, dass du dieses hier nicht vermissen würdest.«
Linnet lachte und klatschte in die Hände. »Ist sie nicht wunderbar?«
»Rose hat jedoch darauf bestanden, dass wir alles bekommen.«
»Ich hoffe, du hast die Mädchen
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