Mein geliebter Ritter
aufwuchsen.
»Du hast das auch gebraucht, nicht wahr, alter Junge?« Er tätschelte Thunders Hals. Sein großes Schlachtross war genauso wenig wie er dafür gemacht, so lange eingesperrt zu sein.
Schweren Herzens wendete er Thunder und ritt den Pfad zurück. Windsors riesiger, markanter Rundturm ragte vor ihm auf und erinnerte ihn unablässig daran, was vor ihm lag: ein Monat voll endloser Gespräche, alberner Unterhaltung und politischer Intrigen. Er hasste es. Lieber ein gutes Pferd und ein Schwert in der Hand als das.
Von jedem, der etwas zu sagen hatte, wurde erwartet, dass er über die Weihnachtstage hier erschien. Das bedeutete, dass Jamie immer ein wachsames Auge auf potenzielle Gefahren für die Königin haben musste. Viele wohlhabende Kaufleute und auch einige der Adligen verdächtigten die Königin, heimlich den Anspruch ihres Bruders auf den französischen Thron zu unterstützen.
Während sich Jamie dem Schloss näherte, kam sein Knappe zum Tor heraus und rannte ihm auf dem Pfad entgegen. Thunders Atem bildete weiße Wölkchen, als er ihn zügelte.
»Guter Junge«, lobte Jamie sein Pferd und schwang sich aus dem Sattel.
»Eine Nachricht ist für Euch eingetroffen, Sir James«, sagte Martin und streckte ihm eine Pergamentrolle entgegen.
Jamie überreichte Martin die Zügel und nahm das Pergament. »Thunder muss gut abgerieben werden.«
Jamie brach das Siegel und las die kurze Mitteilung. »Bedford ist zurück«, sagte er und rollte das Pergament wieder zusammen. »Er ist in den Westminster-Palast gezogen. Ich muss sofort zu ihm.«
Vor ein paar Monaten hatte er noch eifrig für Bedfords Rückkehr nach England gebetet. Kaum hatte er seine Meinung geändert, hatte Gott beschlossen, ausgerechnet diese Gebete zu erhören. Die Mysterien des Himmels!
Da Bedford nun zurück in England war, war Jamies Auftrag, die Königin zu beschützen, beendet. Bedfords Autorität war unangefochten und seine Unterstützung der Königin über jeden Zweifel erhaben. Seine Anwesenheit garantierte ihre Sicherheit – zumindest vor den Gefahren, die Bedford kannte. Dass die Königin bei einer Affäre mit Owen Tudor erwischt wurde, gehörte sicher nicht zu den Risiken, die Bedford einkalkulierte.
»Sie ist die bedauernswerteste Frau im ganzen Königreich.« Das hatte König Heinrich auf dem Totenbett über seine junge Königin gesagt, und Bedford glaubte das noch immer. Niemand ehrte die Erinnerung an den toten König mehr als sie. Bedford wäre überrascht, wenn er erführe, dass die Königin nach dem glorreichen Heinrich ihr Bett überhaupt mit einem Mann teilen wollte; das Herz des guten Mannes würde versagen, wenn er wüsste, dass sie mit ihrem Kammerdiener schlief.
Wie auch immer. Jamie hatte keinen Vorwand mehr, sich noch länger in Windsor herumzutreiben. Es war also an der Zeit, die Sache mit Linnet in trockene Tücher zu bringen. Er war ohnehin immer ungeduldiger angesichts der Tatsache geworden, wie die Dinge sich entwickelt hatten.
»Mach dich bereit, bei Sonnenaufgang aufzubrechen«, wies er Martin an, als sie durch das Tor schritten. »Ich will Westminster morgen vor dem Dunkelwerden erreichen.«
Er überließ es Martin, Thunder in den Stall zurückzubringen, und marschierte über den oberen Burghof. Es war an der Zeit, Linnet in die Enge zu treiben und zu sehen, wie sie reagierte.
Linnet wartete auf ihn in dem leeren Schlafgemach im Flügel gegenüber den königlichen Gemächern, das zu ihrem üblichen Treffpunkt geworden war. Nachdem er sie begrüßt hatte, trat er an den schmalen Tisch an der Wand, wo sie immer eine Flasche Wein stehen hatten.
Er sprach mit dem Rücken zu ihr, während er einen Becher einschenkte, den sie miteinander teilen würden. »Bedford ist aus Frankreich zurückgekehrt.«
Als er sich zu ihr umdrehte, erkannte er kein Anzeichen der Betroffenheit in ihren Zügen. Innerlich seufzend ging er zu ihr zum Fenstersitz.
»Gott sei Dank, dass Bedford wieder hier ist«, sagte sie und nahm den Becher entgegen. »Keiner hat Gloucester besser im Griff.«
Das war nicht die Reaktion, die er sich erhofft hatte, aber vielleicht begriff sie noch nicht, was Bedfords Rückkehr für ihn und ihre Affäre bedeutete.
»Aye, Gloucester wird sich benehmen, solange sein Bruder in England ist«, sagte er, während er sich neben ihr auf der Bank niederließ. »Der Rat hat Gloucester bloß für die Zeit von Bedfords Abwesenheit zum Protektor Englands ernannt – ein weiser Entschluss. Gloucester hat seine
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