Mein glaeserner Bauch
Chromosomenanomalien angeboten. 34 Also alles nur eine Frage der Definition, wenn man davon ausgeht, dass es keine Nicht-Risiko-Schwangerschaft gibt.
Eine klare Abgrenzung von normaler Schwangerenvorsorge und pränataler Diagnostikim Sinne von Fehlbildungssuche hält auch der Leiter eines großen deutschen Perinatalzentrums wegen der Überschneidung von Schwangerenvorsorge, Ultraschalldiagnostik und pränataler Diagnostik für nicht möglich und nicht sinnvoll. Die Pränataldiagnostik ist nach seiner Einschätzung daher auch nicht mehr von einer sorgfältigen Schwangerenbetreuung abzukoppeln. 35
»Pränataldiagnostik beginnt mit dem ersten Ultraschall in der zehnten bis zwölften Woche, wenn die Umrisse des Fetus und eventuell auch Auffälligkeiten wie eine verdickte Nackenfalte erkennbar sind«, schreibt auch die Frauenärztin und Psychotherapeutin Claudia Schumann. Sie kennt die Veränderungen in der gynäkologischen Praxis durch die Pränataldiagnostik aus ihrer eigenen Betreuung von Schwangeren:
Wenn die Frau vorher informiert sein und eine Bedenkzeit haben soll, um sich zusammen mit dem Partner entscheiden zu können, muss die Aufklärung über Pränataldiagnostik schon in der achten/neunten Woche stattfinden. Da weiß die Frau gerade von ihrer Schwangerschaft, sie schwankt vielleicht noch zwischen Freude und Sorge, sie kämpft mit Müdigkeit und Übelkeit. Sie will wissen, wann das Kind kommen wird, was sie beachten muss und was sie essen darf, und wann es der Arbeitgeber erfahren muss. 36
Die Aufklärung über die Risiken der Pränataldiagnostik müsste also im Grunde viel früher stattfinden und nicht erst während der sensiblen Zeit der Schwangerschaft. Es ist sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, solange man noch nicht betroffen ist. Wie bei der öffentlichen Diskussion um Patientenverfügung, Organspende, Sterbehilfe oder auch Präimplantationsdiagnostik. Zukünftige Eltern sollten sich rechtzeitig informieren, damit sie nicht unvorbereitet und zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt lebenswichtige Entscheidungen treffen müssen.
K laus war an meiner Seite, als ich am nächsten Tag zum ersten Mal unser Kind in Großaufnahme sah. Sah, wie es sich in meinem Bauch bewegte. Meine Gynäkologin hatte nach der Basisdiagnostik sofort einen Termin bei einem Kollegen gemacht. Er sollte ihren Ultraschallbefund Nackenödem überprüfen, da er über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Ultraschalldiagnostik verfügte. Ein korrekter Ablauf nach den Qualitätskriterien der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin ( DEGUM ). 37
Ein großer Flachbildmonitor hing von der Decke des Untersuchungszimmers in der mir fremden Praxis. Keine zwei Meter vom Untersuchungsstuhl entfernt, auf dem ich lag. Der Gynäkologe zeigte am Bildschirm auf die Schwellung unter der Nackenhaut unseres Kindes und wies auch auf andere Körperstellen, an denen er Ödeme diagnostiziert hatte.
Was ich staunend auf dem Riesenbildschirm vor mir sah, war jedoch etwas ganz anderes. Ein perfektes Kind! Ich starrte auf den Monitor und sah Leons kleines Gesichtchen und seinen kleinen Körper. Er sah aus wie ein Neugeborenes! Zum Greifen nah! Ich konnte gar nicht wegsehen, und vor allem konnte ich nicht zuhören bei dem, was der Arzt sagte. Ich sah nur mein Kind und spürte die Hand meines Mannes, der meine ganz fest hielt.
Klaus bestätigte mir später, er habe wie ich die Ungeduld des Arztes gespürt beim anschließenden Beratungsgespräch neben dem Untersuchungsstuhl. Der Gynäkologe war ärgerlich geworden, als ich zögerte, sofort einer Chorionzottenbiopsie zur Gendiagnostik zuzustimmen. Und hatte gedroht, dann müsse er sich absichern. Brauche unsere schriftliche Bestätigung, dass er uns darüber aufgeklärt habe, wie schwerwiegend der Befund sei. Erst jetzt weiß ich, er fürchtete unser Kind als Schaden. Einen Schaden, für den er aufkommen müsste, wenn wir ihn später vielleicht auf Unterhalt verklagen sollten.
Seitdem man vorgeburtlich die kindlichen Chromosomen untersuchen kann, ist es für Ärzte aus haftungsrechtlichen Gründen immer die sicherste Lösung, möglichst viel Diagnostik zu veranlassen. Noch zwischen 1970 und 1973 gab es lediglich einhunderteinundsiebzig Fruchtwasseruntersuchungen. Im Jahr 1976 wurde die Amniozentese als Kassenleistung zugelassen und etwa eintausendachthundert Mal durchgeführt.
Im Jahr 2000 war diese Zahl auf etwa siebzigtausend angestiegen. 38 Aus einem begrenzten Angebot für
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