Mein Glueck
eine Kamelkeule mit Süßkartoffeln. Dann gingen wir ein wenig spazieren. Wir waren um die Mittagszeit angekommen und erlebten erstmals eine Stadt, in der alle Bewohner auf der Straße zu stehen schienen, und es war eine Stadt ohne Frauen. Hier hatte Michel Butor, wie er mir später erzählte, einige Zeit als Französischlehrer gelebt. Eine Kamelkeule ist absolut fettarm, unsere war aber beim Grillen so zusammengeschrumpft, dass wir den Eindruck hatten, in ledrige Haut und in einen geschundenen Knochen zu beißen. Das Feilschen um den Preis dauerte länger als das Essen. Sonst beschränkte sich unsere Hauptnahrung auf Früchte und das köstliche, auf Stein gebackene Fladenbrot. Es bestand aus einer Ober- und einer Unterkruste und ließ sich wie eine Tasche öffnen und mit Hackfleisch, Käse und Gemüse füllen. Weitere Etappen waren Edfu und dann mehrere Tage Luxor. All dies geschah in einer unvorstellbaren Einsamkeit. Der Ritt auf Eseln vom Deir el-Bahari, dem Felsentempel der Hatschepsut, über den Berg brachte uns ins Tal der Könige. Wir waren die einzigen Lebenden im Reich der Toten. Überall öffneten sich für uns die Tempel und Gräber. In Assuan trafen wir während dieser Reise durch ein Totenreich auf den datierbaren Tod. In der Nähe des Simeon-Klosters, das sich nur leicht von dem Eigelb der Dünen abhebt, steht an den Felsen am westlichen Nilufer das Mausoleum, das die Begum für den 1957 verstorbenen Aga Khan III. hatte errichten lassen. Es war eben fertiggestellt worden. Wir kamen in den Tagen der Trauerfeier für den achtundvierzigsten Imam der Ismaeliten an und durften uns in dem kahlen Zentralbau umsehen. Später erzählte ich dieses Erlebnis seinem Sohn, Prinz Sadruddin Aga Khan, den ich über die gemeinsame Passion für Max Ernst in den frühen siebziger Jahren kennengelernt hatte. Sadi und seine Frau Katherine sowie deren Sohn Marc mit Frau Victoria gehörten seitdem zu denjenigen, die meine Max-Ernst-Ausstellungen und Publikationen mit Enthusiasmus unterstützten. Sadruddin war zu der Zeit, da wir zusammen mit Max Ernst Ferien in Quiberon in der südlichen Bretagne verbrachten, ein sich aufopfernder, enthusiastischer UN-Flüchtlingskommissar. Seit Jahrzehnten ist der Zutritt zum Mausoleum über dem Niltal Besuchern verwehrt. Auf der letzten Ägyptenreise 2008 erwähnte ich gegenüber dem Gouverneur der Provinz Assuan, dass ich damals, genau vor fünfzig Jahren, bei besagter Trauerfeier präsent gewesen sei, und wurde darauf zusammen mit Monique eingeladen, in seiner Begleitung das Grabmal aus rosa Sandstein zu besuchen. Der Weg führte auf halber Höhe am Frauenpalast vorbei, dessen Fenster sich nicht zum fruchtbaren Nil hin, sondern gen Grabmal öffnen. Es war der einzige Blick, der den Frauen, die dort lebten, gestattet sein sollte. Im Inneren des Baus aus madenweißem Carraramarmor, in dessen Leere, saß ein Imam. Er lebte dort, unbewegt, und murmelte seine Suren. Auf der Grabplatte im gleißenden, hellen Bau wurde täglich eine rote Rose niedergelegt. Sie durfte nur einen Tag leben. Eindrucksvoller und sparsamer ließen sich Tod und Nachgeschmack des Lebens nicht darstellen.
Nach dem Ende des Studienjahrs in Wien bekam ich Gelegenheit, während der Semesterferien beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart in der Hörspielabteilung mitzuarbeiten. Hans Bausch hatte dies erwirkt. Bruno Heck verdankte ich die Bekanntschaft und Freundschaft mit dem Intendanten des Stuttgarter Senders, der mir anderthalb Jahre später den Umzug nach Paris ermöglichte und damit den wohl bedeutendsten Abschnitt meines Lebens eröffnete, mit dem meine Passion für Frankreich begann. Es gibt kaum ein Datum, das mein Leben nachdrücklicher bestimmt hätte. Bausch war ein unerschrockener und gebildeter Mann. Er schlug vor, ich sollte doch im literarischen Bereich des Rundfunks, im Hörspiel und im Radioessay, bei Hans Jochen Schale und Helmut Heißenbüttel hospitieren. Das habe ich denn auch einige Monate lang in der Villa Berg oberhalb der Neckarstraße gemacht. Ich lektorierte zumeist Theaterstücke, die dem Rundfunk aus Frankreich zugeschickt worden waren, oder Manuskripte, die für das Hörspiel aufbereitet werden sollten. Das alles waren zumeist unendlich langweilige Fleißstücke. Die dramatisierte Prosa aus Frankreich hatte überhaupt nichts vorzuweisen, was sich mit der Hörspieldramaturgie vergleichen ließ, die in Deutschland oder im angelsächsischen Bereich für eine eigenständige literarische Gattung
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