Mein Glueck
gesorgt hatte. Im Mittelpunkt stand zumeist der Versuch, ein akustisches Äquivalent für die visuellen Effekte zu liefern. Weil ich an diesen Einsendungen verzweifelte, spielte ich mit dem Gedanken, dem Sender vorzuschlagen, sich direkt an Schriftsteller in Frankreich zu wenden. Doch für Hans-Jochen Schale gab es nur das Hörspiel. Die Hörspielabteilung begegnete dem Fernsehen mit einer Verachtung, die den Anfeindungen am Ende der Stummfilmzeit oder bei der Einführung des Farbfernsehens vergleichbar war. Doch eines Tages kamen dann auch Reinhard Müller-Freienfels und das Fernsehen auf mich zu mit der Bitte, in Paris Manuskripte in Auftrag zu geben. Während meines Studienjahrs in Paris hatten sich erste Kontakte ergeben, die ich nun nutzen wollte. In den zwei Semestern, die ich anschließend an die Wiener Jahre an der Universität Tübingen verbrachte, setzte sich die Zusammenarbeit mit dem Süddeutschen Rundfunk fort. Ich blättere heute in Hunderten von Briefen mit den Kollegen des Rundfunks, des Fernsehens und mit fast allen französischen Autoren, die ich gelesen und kennengelernt habe. Die Intensität des Austausches war erregend damals. Ganz offensichtlich ging es allen darum, eine neue, unbekannte literarische Form zu erobern. In Tübingen studierte ich Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik. Dabei lernte ich Freunde fürs Leben kennen wie Monika Steinhauser und Götz Adriani. Die rothaarige Monika regte uns alle zum Träumen an. Sie ließ an die schönen Frauen Rossettis denken, an die verführerische »La Belle Dame sans Merci« von Keats. Zudem gehört sie zu den intelligentesten und in ihrer Kritik unerbittlichsten Menschen, die ich kenne. Otto Friedrich Bollnow, den ich wegen des Bezugs seiner philosophischen Lehre zu Dilthey und zur Lebensphilosophie überaus anregend fand, hatte mir, nachdem ich ein Referat über »Macht und menschliche Natur« gehalten hatte, das einen Aufsatz von Helmuth Plessner zum Ausgangspunkt nahm, vorgeschlagen, bei ihm zu promovieren. Er öffnete mir mit seinen eigenen Texten das Verständnis für das Übersehene und Periphere, dessen Bedeutung ich auch in Georg Simmels eindrucksvoller Studie Der Henkel bestätigt fand. Der Henkel wird bei Simmel, dank genauer Beobachtung, »zu einem der nachdenklichsten ästhetischen Probleme«. Ein Aufsatz von Bollnow, in dem von der Enttäuschung im Umgang mit Originalwerken die Rede ist und der die Begegnung mit den durch Reproduktionen beschädigten und deflorierten Meisterwerken der Uffizien schildert, hat mich ständig beschäftigt. Seine Phänomenologie, die sich in dem Buch Mensch und Raum der Erfahrung von Schwelle, Tür und Fenster widmet und die Orte des menschlichen Lebens, der bergenden und erlebten Räume ausmisst, war für mich ein Erlebnis, das ich konkret mit dem verbinden konnte, was mich bei der Lektüre der Texte des Nouveau Roman und nicht zuletzt bei Francis Ponge erregte: die Beschäftigung nicht mit Konzepten, sondern mit dem geringfügigen, oft vernachlässigten Detail. Ich sandte Bollnow 1962 aus Paris einen ausführlichen Brief, in dem ich schrieb, wie wichtig sein Seminar über »Fragen der philosophischen Anthropologie« für mich gewesen sei. Der Brief gilt mir heute als Dokument, das den Grenzverlauf meines damaligen Denkens und Fühlens nachzeichnet. Er schloss an das an, was ich noch kurz zuvor in Wien auf unerträgliche Weise erlebt hatte, die nicht beherrschbare Gleichzeitigkeit von Dingen, das Erleben des Simultanen, Erfahrungen, die mich bedrängt hatten und die ich den neuen Freunden bei der Stuttgarter Zeitung klarzumachen gesucht hatte. Ich sage Grenzverlauf, denn was mich wenige Jahre danach wirklich gefangennahm, war keinesfalls ein mehr oder weniger unbeholfenes theoretisches Denken, sondern die wie suchtgetriebene Suche nach dem »moment privilégié«, nach dem Ereignishaften, das einen unwillkürlich überfällt. Erst der Surrealismus eröffnete mir das Privileg dieses Moments. Ich notierte damals »Das Postulat der Gleichheit der Fakten – es ist mir jetzt erst wirklich bewusst geworden«, und ich fügte hinzu: »Das spielt sich etwa folgendermaßen ab: Ich sammle Eindrücke, stelle sie nebeneinander, rein additiv, versuche jeden Vorrang auszumerzen, glaube, was mein eigenes Leben betrifft, nicht an ›moments privilégiés‹. Ich habe mich ganz zu Beginn darüber mit Beckett unterhalten. Wir kamen dabei auch auf Sartre ( La Nausée ) zu sprechen, ein Buch, in dem ein gewisser
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