Mein Glueck
Kenntnis, wäre alles einfacher. Aber Monique. Was ich schreibe, ist lächerlich. Wenn ich sterbe, ist das alles so billig, so kindlich, so ohne jede Bedeutung. Ich lege mich aufs Bett und stiere die Tapete mit den roten Rosen an, in die ich ›Monique‹ geschrieben habe, in jede Blume einen Buchstaben.«
Unsere zivile Trauung im Rathaus des 20. Arrondissements – im prunkvollen Hochzeitssaal –, bei der nur Moniques Eltern zugegen waren, mündete in die Idylle eines sommerlichen Nachmittags in der Île-de-France. Sie fand ein Jahr nach der Verlobung statt, vor der wir auf dem Pont-Marie angesichts des Chors von Notre-Dame erstmals die heißen Lippen aufeinandergedrückt hatten. Ich wusste, dass es auf der Welt keinen Menschen gab, der mir näher stehen konnte. Nach der Hochzeit fuhren wir mit dem Zug in die Nähe von Mériel, wo Moniques Eltern ein kleines Grundstück mit einer Hütte besaßen. Von dort aus wanderten wir, im lichten Laubwald, durch die heitere Landschaft nach L’Isle-Adam am linken Ufer der Oise. Und dort verbrachten wir viele Stunden in einem vorzüglichen Restaurant am Fluss. In der Nähe des steinernen Pont du Cabouillet wurde am Spätnachmittag ein Fest gegeben, auf dem wir, bevor wir unser Zimmer bezogen, bei einer Tombola eine ansehnliche Wurst gewannen. Der zivilen Trauung folgte nach wenigen Wochen die religiöse Zeremonie im Münster zu Weingarten. Mein Bruder Günther spielte uns zu Ehren auf der berühmten Gabler-Orgel in der Basilika. Wir warteten am Vortag in Paris am Ostbahnhof mit einem riesigen Karton, in den das weiße Brautkleid gebettet war, auf den Zug, der uns nach Stuttgart bringen sollte. Um den Zug ja nicht zu verpassen, hatte ich einfach behauptet, dass die Abfahrtszeit eine Stunde früher sei. Darin zeigt sich meine unausrottbare Angst, zu spät zu kommen. Wie oft habe ich auf jemanden gewartet und mich dabei in die Frage hineingesteigert, wann das Warten beginnt, aussichtslos zu werden. Schließlich entwickelte ich ein Gespür für den Moment, in dem die Erwartung zu einem leeren Gefühl und das Ausharren vergeblich werden. In solchen Fällen stand ich auf und ging. Die Hochzeit fand an einem denkwürdigen Tag statt. De Gaulle war nach Süddeutschland gereist und pries von einem Balkon des Schlosses Ludwigsburg die deutsch-französische Aussöhnung. Auch der Pater, der uns traute, machte das historische Ereignis der Annäherung zweier Völker zum Thema seiner Predigt. Dieses Aufeinandertreffen von zwei Paaren – Frankreich und Deutschland, Monique und mir – verband sich für mich auf unentwirrbare und dauerhafte Weise.
Werner Spies, Marguerite Duras und Reinhard Müller-Freienfels
Nach der Rückkehr nach Paris, kurz nachdem wir uns im Haus 18, Place du Marché Saint-Honoré im sechsten Stock in einer Wohnung unterm Dach eingerichtet hatten, schlug mir André Chastel, dessen Vorlesungen ich an der Sorbonne hörte, ein weiteres, für mich verlockenderes Thema für eine Dissertation vor. Ich sollte über Illustrationen in Diderots und D’Alemberts Enzyklopädie arbeiten. Das war ein Sujet, das mich sofort fesselte. Hier stieß ich auf die aufregende Verbindung von Wort und Bild, ja auf die Erfindung einer umfassenden visuellen und sprachlichen Konvergenz. Was mich vor allem anzog, war das Glück des Inventars, das man dem Unternehmen der Enzyklopädisten verdankte. Dabei spielten für mich die zwölf Tafelbände, die die einundzwanzig Textbände begleiten und in denen erstmals vor der Erfindung der Fotografie die Welt in ihrer Fülle sichtbar wird, eine besondere Rolle. Die neue Ordnung, die Diderot einführte, verzichtete auf das Spiel mit der Assoziation und auf die Gewalt der Analogie. Diderots Tafelbände zur Encyclopédie hatten dieses Sehen durch eine systematische Erkundung der Welt ersetzt. Linné, Cuvier und Buffon, die großen Namen der neuen Erkundung der Erscheinungen, suchten nicht den visuellen Schock, den Nachweis des Wunderbaren, des »natura stupet«, ihnen ging es um den gleitenden, lückenlosen Beleg einer »natura naturans«. Es beginnt damit die Zeit des Sortierens und Klassifizierens. Hier bleibt kein Raum für Ausnahmen und für das Monströse. Das Wunderbare und das Bizarre, das die Kuriositätenkabinette dem Bekannten eingliederten, wurde jetzt Indiz für Ignoranz und Aberglauben. Der »grammatikalische Trick«, mit dem die Enzyklopädisten sich eine Welt, die in tausend und abertausend Einzelheiten, Einzelwissen und eifersüchtig
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