Mein Glueck
schiebt. Doch im Hause Ionesco herrschten andere Kategorien. Sie beziehen sich auf das, was Susan Sontag damals als »Camp« zu definieren suchte, die Möglichkeit, die dialektische Aufhebung von Kitsch durch vorsätzliches ästhetisches Sündigen zu erreichen. Es gab hier nichts, was einen hätte an die Unheimlichkeiten denken lassen, die in Ionescos Stücken unaufhaltsam ins Desaster führen. Was zu sehen war, blieb, in der Nähe der Inventare, die Christian Boltanski vom Hausrat unbekannter Menschen erstellt hat und die einen wie widerliche Abgüsse des Anonymen, vor dessen Berührung es einen graust, gefangennehmen. Ein verwegenerer Gegensatz ließ sich kaum vorstellen. Sicherlich war dieses häusliche Bühnenbild, das wie für die Inszenierung eines Lachanfalls geschaffen schien, eine Art Ausweg aus der eigenen Depression. Denn darum ging es. Ihr verfiel Ionesco in späteren Jahren, und die Rettung daraus erhoffte er sich nun weniger von Texten als von seiner visuellen Imagination, von den großfigurigen Gouachen, die er damals mit breitem Pinsel zu malen begann. In der Verwendung schwarzer Tusche, in der Mehrdeutigkeit der Silhouetten auf den Blättern wirkt etwas von der unfixierten, unfixierbaren Welt der Rorschachtafeln nach. Offensichtlich brauchte er den Nippes, das Gehäkelte und die erstickenden Portieren und Vorhänge in seiner Wohnung auch, um sich ständig in Wut gegen die Behaglichkeit zu reden. Es gab überhaupt nichts im Zimmer, was an Spott und Ironie hätte denken lassen. Und inmitten dieser bis ins geringste Detail nachgestellten kleinbürgerlichen, beruhigenden Ordnung verhielt sich Ionesco in den eigenen Wänden wie ein Fremder. Klingelte das Telefon und erkundigte sich jemand nach der Hausnummer der Straße, in der Monsieur et Madame Eugène Ionesco und deren Tochter Marie-France lebten, tat er so, als habe er diese nicht im Kopf, konsultierte ernsthaft sein Adressbuch und gab die gewünschte Auskunft: 14, rue de Rivoli, Paris 1er, in einem siebenstöckigen Wohnhaus. Er spielte irgendwie die Szene aus La Cantatrice chauve nach, in der Monsieur et Madame Martin im Salon der Smith in ihrer Unterhaltung darauf stoßen, dass sie in derselben Wohnung wohnen und im selben Bett schlafen.
Hinter Ionescos Sprache stand etwas anderes als bei Michel Leiris. Das spürte ich sofort, obwohl mir das Zusammensein mit Franzosen noch keineswegs selbstverständlich war. Es war die Distanz dem Französischen und den Definitionen des Wörterbuchs gegenüber. Dabei offenbarte sich für mich vielleicht der spannendste und ergiebigste Augenblick meines Gangs in das Fremde, der Moment, da eine neue Sprache wie eine nicht ganz geöffnete, schlecht geschlossene Tür fortwährend zu klappern scheint. Die Vertrautheit mit der angelernten Sprache sollte bei Ionesco nie so weit gehen, dass sie völlig das andere Idiom, das Rumänische, aufsaugte. Das erinnerte mich an den perfekten, nur leicht schielenden Umgang eines anderen Rumänen, Ciorans, mit dem Französischen. Hinter Ionescos Dialogen stand die Vertrautheit mit dem Lehrbuch, das ihn als Schüler in Bukarest in die französische Sprache eingeführt hatte. Doch die wichtigste und sichtbarste Quelle für seine Stücke lieferte die Lernmethode Assimil. Das Heft L’Anglais sans peine sollte ihm in den ersten Jahren nach dem Krieg helfen, mühelos in die Fremdsprache Englisch einzudringen. Mit der direkten Methode, die immer wieder neue Wörter und Begriffe einführte und dabei ein überaus logisches Gebäude errichtete, hatte ich selbst auch im Französischunterricht zu tun. Alles lud dazu ein, an einem privaten Turmbau von Babel weiterzuarbeiten. Das dreiteilige Lehrbuch der französischen Sprache von Louis Marchand, das in der französischen Besatzungszone eingeführt worden war, näherte sich aus didaktischen Gründen dem, was Ionesco und Queneau völlig frei mit der Sprache trieben. Sinnlose, motorische Wiederholungen wie bei Strafarbeiten, sprachliche Sturheiten finden sich zuhauf in den Einaktern La Cantatrice chauve und La Leçon . Die Repetition, von der das Lernen mit dieser Methode profitiert, führt nach und nach zu Ausbruchsversuchen einzelner Wörter. Auch in unserer Korrespondenz finde ich diese rhetorischen Wendungen. Einen Brief vom 5. Dezember 1961 beginnt er mit »Hélas, hélas, hélas, le temps nous manque!« (»Ach, ach, ach, es fehlt uns die Zeit!«). Und er schließt mit dem Ausruf: »Mais il me faudrait du temps, du temps, beaucoup de temps.«
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